Am Sonntag wählt die Türkei einen neuen Präsidenten. Eine Wahl, die auch die türkische Gemeinschaft in Deutschland spaltet. Rund anderthalb Millionen Türkinnen und Türken sind dort wahlberechtigt.
Einer, der dafür sorgt, dass die Türken in Deutschland miteinander reden, auch wenn sie politisch nicht mit einer Stimme sprechen, ist Osman Okkan. Seit Jahrzehnten ist der deutsch-türkische Soziologe und Filmemacher um Dialog bemüht.
Wir hatten bis jetzt noch nie eine solche Angstatmosphäre in der türkischen Community.
In seinem Kulturzentrum in Köln herrscht etwas Hektik: Zwei Politiker dürfen an einem Solidaritäts-Abend für politische Gefangene nicht sprechen. Dies aufgrund des von Deutschland verhängten Wahlkampfverbots. Dank dem ist die Stimmung nicht so aufgeheizt wie beim letzten Mal – aber die Anspannung sei enorm, weiss Osman Okkan: «Wir hatten bis jetzt noch nie eine solche Angstatmosphäre in der türkischen Community.»
Selbst innerhalb von Familien wagten sich viele nicht offen zu sprechen, aus Angst vor möglichen Konsequenzen für Unbeteiligte in der Türkei. «Es ist trotzdem sehr erstaunlich, dass viele Menschen sagen: Jetzt müssen wir uns zumindest an der Wahlurne zu unserem Kandidaten bekennen», sagt Okkan.
Gerade bei der dritten und vierten Generation in Deutschland heisst dieser Kandidat oftmals Erdogan. Osman Okkan spricht von einer Trotzreaktion: Die jüngeren Generationen seien viel anspruchsvoller und würden sich in der Gesellschaft sehr gut auskennen. «Sie sehen die Möglichkeiten, die andere Schichten erreichen können. Und wenn ihnen diese verwehrt bleiben, reagieren sie dadurch, dass sie sich mehr der Alternative – Erdogan – zugewandt fühlen.»
Hoffnung auf Wandel
Mit diesen Jungen müsste man den Dialog suchen. Doch Deutschland lagert diese wichtige Integrationsarbeit an die Türkei aus – und finanziert dafür die umstrittene türkisch-islamische Vereinigungen Ditib: «Eine Gesellschaft müsste diese Sozial- und Jugendarbeit leisten. Dass sie die Arbeit völlig dubiosen Organisationen überlässt, ist ein grober Fehler.»
Das treibe die Jungen erst recht in die Arme von Extremisten, sorgt sich der Soziologe. Für die Wahl in der Türkei gebe es eine kleine Hoffnung auf Wandel. Die Regierung von Präsident Erdogan könnte dieses Mal den Bogen überspannt haben mit ihrem Wahlkampf über Leichen: den Militäroperationen in Syrien und Irak.
Es gebe Anlass zu einem vorsichtigen Optimismus: «Obwohl man weiss, dass Erdogan und seine Clique, seine Familie mit aller Macht versuchen werden, an der Macht zu bleiben.» Andernfalls würden sie damit rechnen müssen, wegen Korruption und ungesetzlichen Massnahmen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Die Bemühungen von Osman Okkan um Verständigung – auch zwischen Türken und Deutschen – werden wohl auch nach der Präsidentschaftswahl nicht einfacher.