Der erstmalige Sieg der Freiheitlichen Partei bei einer Nationalratswahl schien mehr als ein Jahr lang ausgemachte Sache. Zu deutlich war der Vorsprung in allen Umfragen. Seit den Unwettern ist die Wahl offener, sagt Österreich-Korrespondent Peter Balzli.
Was passiert am Sonntag in Österreich?
Es wird ein neuer Nationalrat gewählt. 6.3 Millionen Wahlberechtigte ab 16 Jahren können 183 Abgeordnete wählen. Bisher war die konservative Volkspartei (ÖVP) stärkste Partei. Das könnte sich jetzt ändern.
Wer wird laut Umfragen gewinnen?
In allen Umfragen liegt die rechtsnationale FPÖ in Führung mit Stimmenanteilen von 26 bis 29 Prozent, vor der regierenden Volkspartei (ÖVP) mit 23 bis 25 Prozent und vor den drittplatzierten Sozialdemokraten (SPÖ) mit 20 bis 21 Prozent. Es wäre das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass in Österreich eine Rechtspartei eine Nationalratswahl gewinnt. Allerdings hat die ÖVP nach dem Jahrhundertunwetter in den Umfragen etwas aufgeholt. Ein Sieg der ÖVP bleibt deshalb möglich.
Falls die rechtsnationale FPÖ gewinnt, wird ihr Parteichef Herbert Kickl Bundeskanzler?
Das ist möglich, aber derzeit eher unwahrscheinlich. Herbert Kickl hat zwei Hürden auf dem Weg zum Kanzler. Die erste: Kickl ist laut Umfragen weit von einer absoluten Mehrheit entfernt und braucht deshalb einen oder zwei Koalitionspartner. Aber keine der anderen Parteien will derzeit mit Kickl zusammen regieren. Die zweite Hürde: Bundespräsident Alexander van der Bellen, der kraft seines Amtes nach der Wahl den Auftrag zur Regierungsbildung vergeben wird, hat bereits erklärt, dass er Kickl nicht als Kanzler vereidigen würde, weil dieser russlandfreundlich und europafeindlich sei.
Falls Herbert Kickl nicht Bundeskanzler würde, wer würde dann?
Wenn die Wahl ungefähr so herauskommt, wie die Umfragen es erwarten lassen, dann hätte der bisherige Kanzler und ÖVP-Parteichef Karl Nehammer die besten Karten. Er braucht aber einen oder zwei Koalitionspartner. Und er hat mehrmals klargestellt, dass er nicht mit der FPÖ zusammen regieren werde, falls sein Rivale Herbert Kickl ein Ministeramt fordert. Das heisst: Kickl müsste sich zurückziehen und das dürfte er angesichts seiner bisherigen Auftritte kaum machen. Deshalb halten österreichische Fachleute eine Dreierkoalition aus Konservativen (ÖVP), Sozialdemokraten (SPÖ) und Grünliberalen (Neos) für möglich.
Wie wird in Österreich die Aussicht auf eine mögliche Dreiparteien-Koalition aufgenommen?
Grosse Koalitionen sind in Österreich sehr unbeliebt. Grund: Die Volkspartei und die Sozialdemokraten haben schon oft zusammen regiert. Sie waren dabei oft zerstritten und blockierten sich gegenseitig. Auch die Wirtschaft ist nicht begeistert von einer möglichen Dreierkoalition. Österreich steckt in der längsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Land braucht dringend Wirtschaftsreformen. Diese sind indes mit einer breiten Dreiparteien-Koalition nur sehr schwer zu schaffen. Auch die deutschen Erfahrungen mit der Ampel-Koalition sind nicht vielversprechend.
Volkspartei (ÖVP) und Rechtsnationale (FPÖ) liegen doch politisch nahe beieinander. Könnten sie nicht am Ende doch zusammen regieren?
Ja, das wäre möglich. Die beiden Parteien haben schon nach den Wahlen 2000 bis 2006 und 2017 bis 2019 zusammen regiert. Damit das wieder passiert, müsste entweder Kanzler Karl Nehammer sein Wahlversprechen brechen, nicht mit Herbert Kickl zusammen zu regieren. Oder Herbert Kickl müsste auf einen Ministerposten verzichten.