Auf den ersten Blick wirkt alles normal in Dhaka. Vor dem Parteibüro der regierenden Awami Liga skandieren Männer Parteislogans und schwenken Fahnen. Masud Rana, ein Geschäftsmann, will die Regierungspartei am Sonntag wählen. Sie werde das Land vorwärts bringen, sagt er. Die Oppositionspartei BNP hingegen, die wolle aus Bangladesch einen islamistischen Staat machen.
Fünf Jahre lang haben Premierministerin Sheikh Hasina und ihre Awami-Liga das Land regiert. Verbissen klammert sich die 66-Jährige jetzt an die Macht. Das wird auf den zweiten Blick sofort klar.
Verwaiste Oppositionsbüros
Vor dem Parteibüro der Oppositionspartei BNP stehen keine Parteianhänger, sondern Polizisten und ein monströser Wasserwerfer. Das Parteibüro ist verrammelt. Einige Journalisten lümmeln in den halbleeren Strassen herum.
Die Mitglieder der Oppositionspartei BNP wagen sich nicht hierher zu kommen. Sie fürchten, von der Polizei verhaftet zu werden – zu Recht. Viele Anführer der Opposition sitzen zurzeit im Gefängnis. Khaleda Zia, die Chefin der grössten Oppositionspartei BNP, steht unter Hausarrest, bewacht von bewaffneten Polizisten. Zia hat längst erklärt, dass ihre Partei die Wahlen boykottieren werde. Sie fordert eine neutrale Übergangsregierung. Nur so sei eine faire Wahl möglich.
Doch Premierministerin Sheikh Hasina kümmert das nicht. Die zwei alternden Politikerinnen Sheikh Hasina und Khaleda Zia – die eine die Tochter des Staatsgründers, die andere die ehemalige Ehefrau eines ehemaligen Staatspräsidenten, der ermordet wurde – wechseln sich seit Jahrzehnten im Amt der Premierministerin ab. Keine hat bislang mehr als eine Amtszeit überdauert, auch wenn es Sheikh Hasina diesmal mit allen Mitteln versucht.
«Das System ist bis in den Kern verrottet»
Die Politikerinnen sind sich spinnefeind. Aber hier gehe es längst nicht mehr nur um eine persönliche Fehde, sagt Imtiaz Ahmed, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Dhaka. Beide Parteien seien absolut undemokratisch, das politische System bis in den Kern verrottet.
«Wer in Bangladesch vorankommen will, kritisiert am besten weder die Parteiführerinnen noch die Machtstrukturen», sagt Ahmed. «Und von den staatlichen Aufträgen profitiert nur, wer mit der einen oder anderen Partei verbündet ist. Wer nichts mit ihnen zu tun hat, geht leer aus.»
Eine grosse politische Seifenoper und eine noch grössere Farce nennt der kleine bengalische Professor mit der runden Brille die Parlamentswahlen vom Sonntag. «Die Wahlen sind eine einseitige Sache. Die Hälfte aller Sitze ist bereits verteilt, obwohl noch niemand seine Stimme abgegeben hat», erklärt der Politikwissenschaftler. «In vielen Wahlkreisen treten nur Kandidaten der regierenden Awami-Liga an. Von 40 Parteien nehmen nur gerade 12 an den Wahlen teil. Die Wahlen haben so absolut keine Rechtmässigkeit. Der Regierungspartei wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als schon bald Neuwahlen auszurufen.»
Wenn die eine an der Macht ist, protestiert die andere lautstark
Wenn die eine Dame an der Macht ist, protestiert die andere lautstark. Oppositionsführerin Khaleda Zia hat Anhänger zu langen Protestmärschen auf die Hauptstadt und zum Streik aufgerufen. Wer den Streik bricht, riskiert, getötet zu werden. Rund 100 Personen kamen in den Wochen vor den Wahlen bei gewaltsamen Zusammenstössen um. Am Samstag wurde ein führender Politiker der Awami-Liga umgebracht. Laut der Wahlleitung setzten Anhänger der Oppositionspartei Dutzende Wahllokale im ganzen Land in Brand.
Vor der zentralen Busstation in Dhaka stehen deshalb alle Busse still. Die Busfahrer sitzen in ihren Führerständen oder schlendern durch die leere Wartehalle. Trotz des Streiks komme er jeden Morgen zur Arbeit, aber Passagiere habe es keine, sagt der Busfahrer Delwar Hussain. «Sie fürchten sich vor Brandbomben und Gewalt. Uns Busfahrern bleibt nichts anderes als zu warten», erzählt er weiter. «Wir spiele ein paar Stunden Karten und gehen dann wieder nach Hause. Lohn habe ich seit zwei Monaten nicht erhalten. Die Politiker verschwenden keinen Gedanken an uns.» Wählen werden er und seine Kollegen nicht. Aus Wut und Protest.