Wie geht es jetzt weiter - zerbricht die EU?
Trotz des Brexit-Schocks ist das wenig wahrscheinlich. Weitere Austritts-Referenden sind aktuell nirgendwo geplant. Allerdings könnte der Brexit Nachahmer finden. Schon wird über Volksabstimmungen anderswo spekuliert, zum Beispiel in Frankreich, Dänemark oder den Niederlanden. Nach dem Motto: «Was die Briten können, können wir auch.»
Wie könnten die Verhandlungen aussehen?
Über kurz oder lang wird nun Artikel 50 des EU-Vertrags aktiviert, der den Ablauf der Scheidung regelt. Für sie ist zwei Jahre Zeit – wenn alle zustimmen, kann die Frist aber verlängert werden. Die Briten dürften versuchen, sich über ein umfassendes Freihandelsabkommen den Zugang zum Binnenmarkt zu sichern. Sie hoffen dabei auf ein «Gentlemen's Agreement», eine Trennung gütlicher Art.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drohte aber schon: «Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen.» Hinter vorgehaltener Hand liessen EU-Politiker wissen, dass ein Exempel statuiert werden könnte. Ziel: Nachahmer abschrecken.
Droht in der EU eine neue Wirtschafts- und Finanzkrise?
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Experten sehen nur geringe Gefahr. Ernsthafte Konsequenzen drohen allerdings der britischen Wirtschaft: Nach einer Studie der Grossbank HSBC könnte das Pfund um bis zu 20 Prozent an Wert verlieren. Ausserdem seien höhere Zinsen sowie bis zu 1,5 Prozent weniger Wachstum zu befürchten. Zudem könnten sich Teile der Finanzindustrie aus London verabschieden, weil die Banken nicht mehr überall in der EU Geschäfte machen dürfen. Möglicher Nutzniesser: Frankfurt.
Gibt es etwas, was ohne die Briten einfacher werden könnte?
Ja. London hat zum Beispiel mehrfach eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik blockiert. Ohne sie könnte es deutlich einfacher werden, Zukunftsprojekte wie eine europäische Armee voranzubringen. Auch der von einigen Staaten angestrebte Ausbau der Wirtschafts- und Währungsunion könnte leichter verwirklicht werden.
Gibt es für die Briten einen Weg zurück?
Theoretisch ja, über Artikel 49 des Vertrags von Lissabon. Natürlich hoffen auf dem Kontinent einige darauf, dass die Briten irgendwann reumütig darum bitten werden, wieder in die Union aufgenommen zu werden. Allerdings würden bis dahin, wenn überhaupt, viele Jahre ins Land ziehen.
Was bedeutet der Brexit konkret für die Schweiz?
Negativ dürfte sich ein Brexit auf eine gemeinsame Lösung mit der EU zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative auswirken. Will die Schweiz eine einvernehmliche Lösung mit der EU, dann muss diese bis im Sommer unter Dach und Fach sein. Selbst wenn die EU sich die Zeit nähme – was angesichts des Ausstiegs bezweifelt wird – hiesse das nicht, dass eine Lösung gefunden wird. Zudem wird der Franken stärker, denn die Anleger flüchten sich in sichere Währungen. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird zwar mit Interventionen an den Devisenmärkten den Franken schwächen wollen. Doch ob ihr das gelingt ohne eine Verschärfung der Negativzinsen ist fraglich. Insgesamt befürchtet vor allem die Exportwirtschaft negative Auswirkungen.
Muss die EU jetzt nicht erst recht enger zusammenrücken?
Es gibt Leute, die das so sehen. Manche EU-Politiker plädieren für ein noch engeres Bündnis, für neue Änderungen an den EU-Verträgen. Allgemein überwiegt allerdings die Auffassung, es mit Europa jetzt nicht zu übertreiben. Was besser wäre: praktische Fortschritte in den kritischen Bereichen - um zu beweisen, dass die EU funktioniert, allen Unkenrufen zum Trotz.
Wie werden die anderen Staats- und Regierungschefs auf das «Nein» der Briten reagieren?
Mit grossem Bedauern, aber auch mit dem Versprechen, die Entscheidung zu respektieren. Die nächsten Tage werden jetzt alle im Krisenmodus sein. An diesem Samstag schon treffen sich die Aussenminister der sechs «Gründerstaaten» in Berlin. Am Dienstag und Mittwoch kommen dann die «Chefs» bei einem Gipfel in Brüssel zusammen. Dabei könnten schon die ersten Weichen für den Umgang im künftigen 27er-Club gestellt werden.
(Sendebezug: Sondersendungen zum Brexit bei SRF)