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Angela Merkel, Hillary Clinton, Theresa May.
Legende: Frauen an der Macht: Nach Deutschland und Grossbritannien könnten auch bald die USA von einer Frau angeführt werden. Keystone/Reuters

International Weibliche Wende? Wenn plötzlich Frauen den Westen regieren

Wenigstens zwei, womöglich drei der mächtigsten nordatlantischen Länder werden künftig von Frauen regiert. Was mag es bedeuten, wenn die Geschicke Deutschlands, Grossbritanniens und der USA – also der wichtigsten westlichen Achse – auf einmal in weiblicher Hand sind?

Kanzlerin Angela Merkel, Premier Theresa May, (womöglich) Präsidentin Hillary Clinton. Die Liste der westlichen politischen Elite wäre zu erweitern – etwa um IWF-Chefin Christine Lagarde und US-Justizministerin Loretta Lynch – und lässt keinen Zweifel daran offen: Die abendländische Politik liegt künftig in Frauenhand.

Kommt nun nach Finanz- und Flüchtlingskrisen, extremen Rechtsrutschen und institutionellen Verfallserscheinungen dank femininer Finessen wieder alles ins Lot? Oder meint Verweiblichung stattdessen Verweichlichung, und der Westen strauchelt erst recht? SRF News hat mit Experten gesprochen.

Ernten, was Frauenbewegungen gesät haben

Die Tatsache an sich, dass Frauen in der westlichen Wirtschaft und Politik nun Spitzenpositionen besetzen, will Lutz Jäncke, Neurowissenschafter an der Universität Zürich, nicht als «Zeitenwende» erfassen: «Die Frauen verfügen heutzutage zumindest in unserem Kulturkreis einfach über bessere Ausbildungen und viel mehr berufliche Erfahrungen, so dass die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass auch Frauen wichtige Ämter bekleiden.»

Frauen können genau so aggressiv, ja härter sein als Männer.
Autor: Lutz Jäncke Neurowissenschafter

Laut Birgit Sauer, Politikwissenschafterin mit Schwerpunkt Governance und Geschlecht an der Universität Wien, hat auch «ein langer Kampf von Frauenbewegungen und Politikerinnen» gezeigt, dass Frauen «die Aufgaben nicht nur wahrnehmen wollen, sondern auch wahrnehmen können.»

Birgit Sauer

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Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Die Schwerpunkte ihrer Forschung sind Governance und Geschlecht, Politik der Geschlechterverhältnisse und Politik und Emotionen.

Kaum ein neues «Machtmatriarchat»

Einem «neuen Machtmatriarchat» oder einer «New Femocraty», wie die Zeitung «Welt» die neuen Besetzungen beschlagwortet, können beide Wissenschafter nicht viel abgewinnen. Jäncke: «Ein Matriarchat würde ja unterstellen, dass grundsätzliche und offensichtliche Verhaltensunterschiede zwischen allen Männern und Frauen bestehen würden.» Ihm sei in diesem Zusammenhang aber keine «wissenschaftlich stabile» geschlechtliche Differenz bewusst.

In Konsequenz räumt der Neurowissenschafter mit hartnäckigen Klischees auf: «Es stimmt nicht grundsätzlich, dass Frauen von Natur aus emotionaler, kommunikativer oder weniger aggressiv sind. Sie mögen in den jeweiligen Kulturen gelernt haben, ihre Emotionen anders auszudrücken. Sie können indes genau so aggressiv, ja härter sein als Männer.»

Auch Politikwissenschafterin Sauer bringt Vorbehalte an, wenn es darum geht, eine typisch weibliche Politik zu destillieren: Einige britische Studien legten zwar nahe, dass Frauen einen anderen Politstil pflegten. Doch stünden deren Ergebnisse «auf wackligen Beinen». «Frauen sind wie Männer auch in parteipolitische Rationalitäten eingebunden. Und andere Studien stellen keinen Unterschied fest, der auf das Geschlecht zurückzuführen wäre.»

Projektionen können Politikerinnen auch zugute kommen

Würden politisierende Frauen etwa emotionslos wirken, so stünde laut Sauer vielmehr ein Plan dahinter: «Das tun die Frauen nur, um die Zuschreibung zu entkräften, dass sie sich von Gefühlen leiten lassen. (...) Emotionen würden ihnen als Makel angelastet.»

Das Vorurteil, dass Frauen weniger machtbezogen seien als Männer, könne ambitionierten Politikerinnen auch in die Hände spielen: Aktuell werde das «Bild der Trümmerfrau» auf sie projiziert. Den Brexit-Beschluss als Beispiel vor Augen, führt sie aus: «Wenn etwas schiefgegangen ist, verlangen die Öffentlichkeit und die Parteien nach einer Frau, die aufräumt.»

Jenseits der sozialen Zuschreibungen verneinen beide Wissenschafter, dass etwas typisch Weibliches an Merkels, Mays oder Clintons Verhalten sei. Allenfalls gäbe es etwas «typisch Merkel'sches», so Jäncke, «wobei dieses Merkel-Mässige durch ihren besonderen Erfahrungshintergrund geprägt ist.»

Wenn etwas schief gegangen ist, verlangen die Öffentlichkeit und die Parteien nach einer Frau, die aufräumt.
Autor: Birgit Sauer Politikwissenschafterin

Lutz Jäncke

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Lutz Jäncke ist Neuropsychologe und kognitiver Neurowissenschafter. Seit 14 Jahren hat er einen Lehrstuhl an der Universität Zürich inne. Im Zuge seiner Forschung setzt er sich immer auch wieder mit dem Geschlecht auseinander.

Erziehung, Glaube, Geld und Renommee

Dieser Meinung ist auch Sauer. Merkel beispielsweise, eine in Brandenburg aufgewachsene Pfarrerstochter, hat «mit einer sprichwörtlich norddeutschen Sturheit das Christliche der CDU bewahrt und dies etwa bei der Flüchtlingskrise eingebracht (wenn auch nicht öffentlich gezeigt).»

Um Clintons Verhalten zu verstehen, wirft Jäncke demgegenüber das wohlhabende Elternhaus, die ausgeprägte Intelligenz und der frühere renommierte und bestens bezahlte Job als Juristin in die Waagschale. Lagarde habe schliesslich in vielen Ländern gelebt, spreche mehrere Sprachen perfekt, und May habe eine klassische Eliteausbildung erfahren. «Diese Frauen», schliesst Jäncke, «sind alle eher danach zu beurteilen, über welchen Erfahrungshorizont sie verfügen und nicht welchen Geschlechts sie sind.»

Typisch weibliche Erfahrungen im Politbetrieb

Der Erfahrungshintergrund ist nun aber laut Politikwissenschafterin Sauer nicht (nur) ein individueller, sondern (auch) ein gesellschaftlicher. Als solcher lässt er sich durchaus weiblich oder männlich konnotieren: Die politischen Erfahrungen der meisten Frauen «sind auf der ganzen Ochsentour – der Laufbahn von der Jugendorganisation bis hin zur Regierungspartei – meistens Erfahrungen des Ausschlusses oder der geschlechtlichen Benachteiligung.»

So habe beispielsweise Kanzlerin Merkel «in der Auseinandersetzung mit Männern gelernt, eine Kontroverse auszusitzen und ist dadurch beinhart geworden.»

Der gleiche Stilberater und die gleiche Frisur?

Der gleiche Stilberater und die gleiche Frisur?
Die Stereotypen, mit denen sich weibliche Spitzenpolitikerinnen konfrontiert sehen, verdichten sich in der öffentlichen Prüfung und Beurteilung ihrer Kleidung – wobei hier die Medien das Ihre dazutun. So schrieb unlängst «Die Welt», die ein «Machtmatriarchat» eigentlich zu verneinen vorgibt: «Merkel und Sturgeon (scheinen) denselben Stilberater und Friseur zu beschäftigen (...), und man (vermutet) manchmal (...), es bilde sich gerade ein uniformer Phänotyp der erfolgreichen politischen Machtfrau.»
Dazu Marianne Schmid Mast, Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität Lausanne: «Frauen werden mehr als Männer an ihrem Äusseren gemessen und eingeschätzt. Eine Frau in Führungsposition überlegt sich genau, wie sie sich kleidet etc., um kompetent zu wirken. Damit die Stereotype sie nicht in die Ecke ‹Frau und inkompetent in Politik› oder ‹kompetent in Politik aber nicht mehr Frau› stecken, werden diese Frauen versuchen, weiblich zu sein, aber nicht zu viel, Seriosität auszustrahlen, aber nicht zu viel – eine feine Gratwanderung.»
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