Wenn man den Aufstieg von Sebastian Kurz zu verstehen versucht, muss man Wien verstehen. Zwei Schriftsteller haben die Weltstadt mit drei Wörtern einmal geprägt. Georg Kreisler: «Wien bleibt Wien», und Hans Weigel: «Wien ist anders». Die österreichische Hauptstadt hat ihren Stolz. Jeder vierte Österreicher wohnt in Wien.
An einem lauen Spätsommerabend 2010 machte der Jurastudent Sebastian Kurz Wahlkampf in Wien. Er mietete einen schwarzen Geländewagen der Marke Hummer, bestellte ein paar Leichtbekleidete und fuhr mit ihnen vor das Moulin Rouge, ein bekanntes Etablissement in der Innenstadt. Kurz wollte in den Landtag und dabei auffallen. Seine Partei: die konservative, «schwarze» ÖVP.
Hübsche Frauen in engen Kostümen
Im Moulin Rouge lief laute House-Musik, hübsche Frauen in engen Kostümen schwirrten umher, und der Hummer draussen versprühte Kunstnebel. Dann der Auftritt von Sebastian Kurz: «Der Wahlkampf wird geil werden. Schwarz macht geile Politik, Schwarz macht geile Partys, und Schwarz macht Wien geil.» Den Hummer nannte er «Geilomat».
Ein Jahr nach diesem Auftritt wurde Kurz Staatsekretär für Integration. Dieses Amt war für ihn ein Stahlbad. Der Journalist Christian Ultsch erinnert sich: «Als Staatssekretär musste er viel einstecken. Auf der Strasse wurde er angefeindet und angespuckt. Kurz gelang es aber, das emotionale Thema Integration zu versachlichen.»
Der politische Höhepunkt war mit dem Amt eines Staatsekretärs aber noch nicht erreicht. Seit Dezember 2013 ist Kurz Aussenminister von Österreich. Offiziell: Bundesminister für Europa, Integration und Äusseres. Da war er gerade 26 Jahre 3 Monate und 20 Tage alt. Ein Weltrekord. Als Aussenminister besuchte er letzten Sonntag die Schweiz und tauschte sich mit Bundesrat Burkhalter zum Thema Freizügigkeit aus.
Augen sanft und verführerisch
Die Szene im Moulin Rouge ist Kurz heute peinlich. Er will nicht mehr darauf angesprochen werden. Schon damals fiel aber auf, wie selbstsicher der Jungpolitiker den Raum füllt und fern von Verlegenheit in die Kamera spricht. Das Hemd ist offen, die Haare streng nach hinten gekämmt, die Augen sanft und verführerisch.
Es war der ehemalige Vizekanzler Josef Pröll, der das Talent von Kurz erkannte und ihn förderte. Als massgebender Mentor gilt aber Michael Spindelegger, der Vorgänger im Aussenministerium. Ohne diese beiden Alphamänner wäre Kurz nie so weit gekommen.
Quick, schnell, hohe Auffassungsgabe
Mit dem Einzug des Studienabbrechers hat sich im Ministerium einiges geändert. Der Chef wird im Haus «Sebastian» gerufen. Er duzt seine Mitarbeiter ebenfalls. Es gibt Sommerfeste und Grill-Abende. Den Experten im Ministerium gab er bereits bei Beginn zu verstehen, dass er auf ihr Fachwissen angewiesen sei.
Im Gespräch mit dem Journalisten Christian Ultsch zeigt sich das Bild eines Politikers, der sich durch aussergewöhnlich hohe soziale Intelligenz auszeichnet. Der Aussenminister sei quick, schnell und verfüge über eine schnelle Auffassungsgabe. Ultsch: «Grosse Visionen habe ich von ihm aber nicht vernommen. Das liegt natürlich auch an seiner mangelnden Erfahrung. Bei heiklen Themen wie der Flüchtlingsfrage hält sich Kurz tendenziell zurück. So läuft er meiner Meinung nach Gefahr, zu einem Schönwetterpolitiker zu werden.»
Aus der Not eine Tugend
Auch vom Klamauk à la Geilomat hat sich Kurz verabschiedet. Auf seinen zahlreichen Dienstreisen wirkt er mitunter hochkonzentriert, aber auch steif. Wenn er vor der Kamera spricht, verliert er sich ins Beiläufige, ins Diplomatische.
Österreichs Minister wird aber trotz seines formellen Auftretens immer noch als Jungspund wahrgenommen. Ultsch beobachtet den Minister schon seit vielen Jahren. Die immer wiederkehrenden Kommentare zu seinem Alter haben Sebastian Kurz genervt, sagt er. Doch aus der Not habe er eine Tugend gemacht.
«Kurz schafft Aufmerksamkeit»
Ultsch: »Kurz weiss, dass ihn seine Jugend auch attraktiv für die Medien macht. Deshalb spricht er das Thema offen an und nützt es für seine Zwecke. So hat er sich bei einer UN-Versammlung als Sprachrohr der jungen Generation präsentiert. Die internationalen Medien haben seine Rede aufgegriffen. Kurz schafft Aufmerksamkeit. Das kann Österreich nützen, um seine aussenpolitische Interessen voranzutreiben. »
Alter gut, alles gut? Christian Ultsch kritisiert die bisherige Leistung des jüngsten Aussenministers: «Inhaltlich hat die österreichische Aussenpolitik noch viel Spielraum nach oben. Ausserhalb des Balkan ergreift Österreich kaum die Initiative. Ein kleines Land wie Österreich könnte durch die Kraft seiner Ideen glänzen. Doch davon sind wir noch weit entfernt.»