Was bedeutet ein Hurrikan wie «Ian», der derzeit in Florida wütet, für die Menschen, die dort leben? Antworten hat Matthias Kündig. Der Redaktionsleiter des «Echo der Zeit» lebte mehrere Jahre in Florida und berichtete von dort für Radio SRF als Korrespondent.
SRF News: Wie bereitet man sich in Florida auf einen Hurrikan vor?
Matthias Kündig: Die Behörden verteilen jedes Jahr im Mai eine Broschüre an alle Haushalte mit Tipps, welche Vorkehrungen man treffen sollte. In der Realität warten die meisten Menschen allerdings bis zum letzten Moment, um sich mit dem Nötigsten einzudecken. Dann kommt es zu wüsten Szenen mit Menschen, die sich in Super- und Baumärkten die letzten Vorräte streitig machen.
Was sind die grössten Gefahren bei einem Hurrikan?
Das Wasser. Vom Himmel fallen extreme Wassermassen, Springfluten vom Meer können mehrere Meter hoch werden. Hinzu kommen Windgeschwindigkeiten von über 200 km/h. Da kann jeder herumliegender Ast zu einem gefährlichen Geschoss werden.
Am meisten Opfer gibt es vor und nach dem Hurrikan.
Interessanterweise gibt es am meisten Tote und Verletzte aber vor und nach einem Hurrikan. Vor dem Sturm schlagen dabei vor allem Unfälle bei überhasteten Vorbereitungen auf den Sturm zu Buche. Nach dem Hurrikan kommt es zu vielen Unfällen mit Strom, weil durch den Wind heruntergerissene Stromkabel im Wasser liegen. Oft kommt es auch zu Kohlenmonoxid-Vergiftungen – manche Leute lassen ihre Stromgeneratoren im Innern ihres Hauses oder ihrer Wohnung laufen.
Was tun die Behörden, um die Menschen zu schützen?
In den Tagen vor dem erwarteten Hurrikan wird die Bevölkerung ständig dazu aufgerufen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen oder sich in eine Notunterkunft zu begeben. Kurz vor dem Sturm gehen dann Patrouillen durch die Quartiere, um alle zu evakuieren, die dazu bereit sind.
Wer nicht rechtzeitig flüchtet, ist während des Hurrikans auf sich selber gestellt.
Die Städte und Gemeinden sind in Zonen aufgeteilt, für die Evakuierungen empfohlen werden. Ausserdem sind die Fluchtwege an den Strassen fix ausgeschildert. Grundsätzlich gilt in den USA aber die Eigenverantwortung. Und wer nicht rechtzeitig flüchtet, ist während des Hurrikans auf sich selber gestellt.
Infolge des Klimawandels muss Florida in der Zukunft mit noch stärkeren Überflutungen rechnen. Was kann man dagegen tun?
Die kurze Antwort ist: nichts. Florida steht auf sehr porösem Kalkstein, deshalb bringt es nichts, Dämme oder Mauern zu bauen, denn das Wasser dringt durch das poröse Gestein von unten an die Oberfläche. Man kann zwar Häuser und Strassen auf Stelzen bauen, aber nachhaltig ist das nicht.
Miami wird finanziell untergehen: Versicherungsprämien und Hypotheken werden bald nicht mehr bezahlbar sein.
Irgendwann wird es wohl finanziell nicht mehr tragbar sein, die Infrastruktur in Florida vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen. Miami wird deshalb untergehen – aber nicht wegen des Wassers, sondern zuerst finanziell: Versicherungsprämien werden bald nicht mehr erschwinglich sein, ebenso Hypotheken.
Welche Schäden sind nach dem Hurrikan «Ian» zu erwarten?
Es ist mit Schäden an Infrastruktur wie Häusern und Strassen zu rechnen, auch könnten ganze Quartiere dem Erdboden gleichgemacht werden. Das sind vor allem solche Quartiere, in denen ärmere Menschen leben. Zudem besteht die Gefahr von Umweltverschmutzung.
Die Stadt Miami hat schon mehrmals wieder bei Null anfangen müssen.
Ausserdem kann eine Region wirtschaftlich zurückgeworfen werden, weil Leute nach einem schweren Hurrikan wegziehen, Betriebe und Geschäfte nicht weitergeführt werden oder Investoren ihr Geld abziehen. Die Stadt Miami hat in ihrer 120-jährigen Geschichte schon mehrmals wieder bei null anfangen müssen.
Das Gespräch führte Nicolà Bär.