Goldgräberstimmung im Iran. Keine Woche vergeht, ohne dass eine Wirtschaftsdelegation aus dem Westen in der Islamischen Republik empfangen wird. Das riesige Land, seine 75 Millionen Einwohner, die immensen Ölfelder und der hohe Bildungsstand der Iraner locken von überall Investoren an. Dazu kommt der hohe Nachholbedarf einer Gesellschaft, die in der Technologie Jahrzehnte im Rückstand geblieben ist.
Sollten die Wirtschaftslockerungen eintreten, wird der iranische Industriesektor umgekrempelt. Dabei werden auch «Ungläubige» und die vom Klerus verhassten Kapitalisten ins Land kommen. Die Frage ist: Können Moderne und Glauben im Gottesstaat koexistieren? Ein Gespräch mit dem Islam-Kenner Erich Gysling.
SRF News: Herr Gysling, wie geht das auf: Die Islamische Republik Iran will mit den USA, dem «Grossen Satan», Geschäftsbeziehungen aufnehmen?
Erich Gysling: Ich sehe da keinen Widerspruch. Die Iraner sind sehr pragmatisch: Die theologischen Vorbehalte gegenüber den Amerikanern werden bestehen bleiben, die Geschäftsbeziehungen werden allerdings ausgebaut.
Aber aus iranischer Sicht ist der Westen doch geistig verdorben. Wie kann das Land diese Zerrkräfte aushalten?
Diese Beschreibung wird dem Land nicht gerecht. Der Iran ist kein monolithischer Block. In den letzten Jahren hat sich da viel verändert. Die Sittenpolizei ist praktisch verschwunden und die Revolutionswächter haben massiv an Einfluss verloren. Auf den Strassen wird das besonders deutlich: Bei den Frauen rutscht der Saum jedes Jahr einen Zentimeter nach oben! Eine wirtschaftliche Öffnung gegenüber dem Westen wird insofern nichts Grundlegendes am System verändern.
In der iranischen Maxime wird «Unabhängigkeit» an erster Stelle geführt.
Auf höchster Technologiestufe war der Iran schon immer abhängig. Die Wirtschaftssanktionen haben vor allem den Markt von komplizierten Ersatzteilen getroffen. Auf den Flughäfen stehen 20 Jahre alte Flugzeuge, die nicht mehr flugbereit sind. Es fehlen die Ersatzteile.
Doch alles, was technologisch keine zu hohen Hürden aufweist, wird im Land selber hergestellt. Iran zehrt auch noch von den alten Fabriken, die vor dem Ausbruch der islamischen Revolution errichtet wurden. Ein Beispiel ist eine alte Peugeot-Fabrik, in der früher der Peugeot 405 hergestellt wurde. Heute wird dort der Peugeot 206 fabriziert.
Wird der Iran wenigstens das Existenzrecht Israels anerkennen, so wie das der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gefordert hat?
Nein, das wird nicht geschehen. Der Iran wird auch weiterhin die Hisbolla unterstützen und indirekt auch die Hamas. Sigmar Gabriel hat seine Forderung auch mehr für das eigene Lager in Deutschland gesagt.
Wie wird sich die allgemeine Religiosität verändern, wenn immer mehr Produkte made in USA in den Iran kommen? Dann sehen die Menschen ja, dass nicht alles schlecht ist, was von den Amerikanern stammt.
Da wird sich gar nichts ändern. Im Koran gibt es eine Stelle, die sinngemäss lautet: «Alle Neuerungen müssen abgelehnt werden, ausser sie dienen zur Selbstverteidigung». Diese Haltung sieht man ja auch bei der Terrororganisation IS, die sich modernster Mittel bedient. Der einfache Iraner allerdings sehnt sich nach amerikanischen Produkten, die er aber nur über Umwege kriegt.