«Wir stossen neue Türen auf! In drei Wochen auf den Mount-Everest und zurück!» Dieses Versprechen und Expeditionsangebot machen kommerzielle Tourenanbieter einem immer grösser werdenden Publikum. Möglich macht solche Express-Besteigungen eine neuartige Akklimatisation: Wer bis zu acht Wochen zuhause in einem Stubenzelt schläft und dabei sauerstoffarme Luft atmet, kann am Berg schneller aufsteigen und spart so wertvolle Zeit.
Dünne Luft macht höhenkrank
Grundsätzlich gilt: Wer sich unvorbereitet und schnell auf Höhen von über 3000 Metern begibt, riskiert wegen des tieferen Sauerstoffangebots höhenkrank zu werden. Je höher man steigt, desto länger braucht der Körper, um sich an die dünnere Luft zu gewöhnen. Passiert das zu schnell wird es gefährlich. Der Körper baut ab und es drohen Lungen- oder Hirnödeme.
Mit einem langsamen Aufstieg kann man das verhindern. Wer trotzdem krank wird, muss sofort und schnell absteigen. Wegen der langen Akklimatisationszeit dauern Expeditionen in grosse Höhen in der Regel acht oder mehr Wochen.
Den Körper überlisten
Die Idee der Vor-Akklimatisation ist einfach: Statt am Berg langsam und zeitintensiv in immer grössere Höhen vorzustossen und so den Körper an die Sauerstoffarmut zu gewöhnen, verlegt man den Akklimatisationsprozess ins heimische Schlafzimmer. Im Akklimatisationszelt wird das Sauerstoffangebot reduziert, bis sich der Körper langsam in der gewünschten Höhe wähnt und seinen Stoffwechsel entsprechend angepasst hat.
Mit diesem Trick lässt sich der Zeitaufwand zum Beispiel für eine Everest-Besteigung fast halbieren.
«Mit diesem Trick lässt sich der Zeitaufwand zum Beispiel für eine Everest-Besteigung fast halbieren», erklärt der Berner Expeditionsbergführer Kari Kobler gegenüber dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Kobler stand bereits fünf Mal auf dem Gipfel des Mount Everest und führte bereits erfolgreich Express-Expeditionen durch. Er meint: «Mit vorakklimatisierten Gästen geht’s nicht nur schneller, sondern auch einfacher und sicherer.»
Dem kann sich Urs Hefti nur anschliessen. Er ist Sport- und Höhenmediziner an der Swiss Sport Clinic (SSC) in Bern – zudem ist er Präsident der medizinischen Kommission des Bergsteiger-Weltverbandes (UIAA). Er hat die Prä-Akklimatisation im vergangenen Herbst erfolgreich am 6814 Meter hohen Ama Dablam in Nepal getestet und glaubt an die medizinischen Vorteile.
Zur Vorsicht mahnt allerdings Matthias Hilty, Höhen- und Intensivmediziner am Zürcher Unispital: «Erste Erfahrungen sind zwar positiv, für eine abschliessende Beurteilung fehlen aber zuverlässige wissenschaftliche Daten.»
Erste Erfahrungen sind zwar positiv, für eine abschliessende Beurteilung fehlen aber zuverlässige wissenschaftliche Daten.
Kommerzielle Tourenanbieter seien in der Pflicht, der Wissenschaft Erfahrungen und Daten zugänglich zu machen. Auch sei nicht klar, ob und allenfalls welche Vorerkrankungen eine Prä-Akklimatisation verunmöglichen.
Und wo bleibt die Seele?
Über ethische Fragen will Hilty nicht öffentlich urteilen. Dies sei Sache jedes Einzelnen. Auch «Express»-Anbieter Kari Kobler will den Entscheid über eine Prä-Akklimatisation seinen Gästen überlassen, meint allerdings: «Wer express geht, hat weniger Zeit, sich mit der Kultur in einem Land und mit den Menschen dort auseinanderzusetzen, und das ist schade.»
Kobler kann sich gut vorstellen, dass das neue Akklimatisations-System bald auch für hohe Alpengipfel angewendet wird. Zudem müsse man damit rechnen, dass sich dank der damit verbundenen kürzeren Aufstiegszeiten, besserer Leistungsfähigkeit und geringerer Erkrankungsgefahr am Berg bald noch mehr Leute an hohe Gipfel wagen, als bisher.