Er ist einer der bekanntesten Schweizer Autoren: Peter Bichsel. In wenigen Tagen wird der Solothurner 85 Jahre alt. Und gerade ist sein neues Buch «Auch der Esel hat eine Seele» erschienen. Zwei gute Gründe für ein Interview mit dem «alten ehemaligen Schriftsteller, der das Schreiben mehr oder weniger hinter sich gelassen hat», wie sich Bichsel selber bezeichnet.
SRF: Wie geht es Ihnen?
Peter Bichsel: Jaja. Ein bisschen besser als altersgemäss. Oder ziemlich besser. Es geht mir gut.
Noch ein paar Tage, dann werden sie 85 Jahre alt. Bedeutet ihnen das etwas?
Es überrascht mich. Bedeuten? Nein, nichts! Es war nicht geplant, so alt zu werden.
«Ich fürchte mich vor der Biographie eines alten Mannes, vor der Buchhaltung des Lebens. Ich erinnere mich nicht gern an mich». Das schreiben Sie im Vorwort zu Ihrem neuen Buch mit Kolumnen, Artikeln und Reden aus einer Zeit, in der Sie noch jung waren. Wieso erinnern Sie sich nicht gerne an damals?
Ich lebe jetzt. Und ich lebe nicht in meinen Erinnerungen. Das Ende dieser Biographie ist mir ziemlich nah, aber ich befasse mich nicht damit. Ich habe mich auch nicht vor meiner Geburt mit meiner Geburt befasst, was soll ich mich vor meinem Tod mit meinem Tod befassen? Der kommt von allein. Im Übrigen erinnere ich mich gar nicht an meine Geburt. Und die Toten wissen wohl auch nichts davon, dass sie gestorben sind.
Die Texte in Ihrem neuen Buch sind vor allem Kolumnen und Artikel, die sie ab 1963 geschrieben haben. Es geht etwa um die Frage, ob die Jurassier einen eigenen Kanton erhalten sollen, um die Tschechoslowakei, oder um den Vietnamkrieg. Was haben diese Kolumnen heute noch für einen Wert, warum soll man sie wieder lesen?
Man spricht schon noch von 1968 und von der Politik der 60er-Jahre. Es war eine politische Zeit, mit politisch interessierten Menschen, mit einem politisch interessierten Journalismus. Ich glaube, das Buch wird vor allem ältere Leser finden, die sich an diese Zeit zurückerinnern möchten. Wenn es junge Leser gibt, die wissen möchten, wie man in dieser Zeit dachte und womit man sich befasste, dann freut es mich, aber es werden wenige sein.
Sie sagen, es sei eine politische Zeit gewesen damals. Ist die heutige Zeit nicht mehr politisch?
Wir leben in einer sehr apolitischen Zeit, zum Beispiel mit apolitischen Staatspräsidenten. Trump ist ein durch und durch apolitischer Mensch, an der Funktion eines Staates nicht interessiert. Und er ist nicht der einzige.
Man spricht doch aber auch von der Klimajugend und von den Jungen, die sich wieder vermehrt für politische Themen interessieren...
... die sich für EIN politisches Thema interessieren. Eines ist zu wenig. Es ist zu hoffen, dass noch andere dazukommen. Die Welt besteht nicht nur aus Klima. Ich habe grosse Freude an der Klimabewegung und unterstütze sie gerne. Aber eine Ein-Thema-Bewegung ist eine apolitische Bewegung. Politik ist die Einsicht in ein grosses Gewebe, und nicht in ein Thema.
Im Alter macht nicht nur bergsteigen müde, auch schreiben macht müde im Alter. Ich habe es aufgegeben.
Im Vorwort zur Kolumnen-Sammlung bezeichnen Sie sich selber als «alten ehemaligen Schriftsteller, der das Schreiben mehr oder weniger hinter sich gelassen hat». Schreiben Sie nicht mehr?
Literarisch kaum noch. Ich schreibe nur noch, wenn es mir abverlangt wird. Dann muss man mich aber beknien. Ich glaube, ich war nie ein leidenschaftlicher Schriftsteller. Es musste nie sein. Ich habe es gerne gemacht, ich habe gerne schreibend gelebt, ich habe gerne als Literat gelebt, aber es war immer Arbeit. Im Alter macht nicht nur bergsteigen müde, auch schreiben macht müde im Alter. Ich habe es aufgegeben.
Dann wird kein neues Buch mehr von Ihnen erscheinen mit neuen Geschichten?
Es ist nicht anzunehmen. Wenn mir eine Geschichte zufallen würde, ich würde sie schon schreiben. Aber sie muss mir nicht zufallen.
Das Gespräch führte Marco Jaggi.