Am 5. Juli 1996 erblickte «Dolly» das Licht der Welt. Erstmals war es britischen Forschern gelungen, eine genetische Kopie eines Säugetiers zu erschaffen. Keiner Schuld bewusst strahlte der Klon durch die Weltpresse. Doch bei vielen Menschen löste der vielleicht weichste Tabubruch aller Zeiten Ängste aus: Hatten die Forscher die Büchse der Pandora geöffnet? Was folgte, schien vielen Schwarzmalern Recht zu geben.
Ein Jahr, bevor Dolly 2003 das Zeitliche segnete, klonte eine US-Biotechfirma auf Bestellung ein Kätzchen: «Little Nicky.» Es war nur der Anfang. Nach der Jahrtausendwende erwachte eine regelrechte Klon-Industrie: In Asien werden heute routinemässig Katzen, Hunde und Nutztiere geklont; vom Frettchen über ein Dromedar bis zum Wasserbüffel haben Gentechniker die Besatzung für eine (ethisch fragwürdige) Arche Noah zusammengestellt.
Kein Stall voller Dollys
Doch der Machbarkeitswahn gelangte auch an Grenzen. Denn, wie Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bio-Ingenieur-Wissenschaften der ETH Zürich sagt: «Dolly war ein wirtschaftlicher Misserfolg.» Denn das Klon-Schaf wurde nicht nur geschaffen, weil man es konnte.
So hofften Forscher zur Jahrtausendwende, wie Fussenegger erklärt, aus der Schafsmilch geklonter Tiere therapeutische Proteine für Menschen zu gewinnen – und damit etwa die Bluterkrankheit Hämophilie bekämpfen zu können. Das Fernziel: «Ein Stall voller Klon-Schafe, die den menschlichen Blutgerinnungsfaktor 9 produzieren», so Fussenegger.
Die Euphorie sei aber schnell verflogen. Das Projekt habe sich schlicht nicht gerechnet. Auch der ganz grosse Angriff der Klonkrieger blieb aus: Bis heute wurde kein Mensch geklont – obwohl es technologisch möglich wäre.
Klonen war gestern
Vergebens lebte und starb Dolly jedoch nicht. «Es hat die Wissenschaft beflügelt und neue Erkenntnisse gebracht, auf denen man aufbauen konnte.» Tatsächlich hat sich in den 20 Jahren seit Dolly einiges getan. So können Forscher Erbgut heute nicht nur kopieren, sondern selber konstruieren. Theoretisch wäre es also möglich, einen Menschen aus dem Labor herzustellen.
Entsprechend gross war die Aufregung Anfang Mai, als bekannt wurde, was eigentlich hätte geheim bleiben sollen: In der US-Metropole Boston trafen sich 150 Wissenschaftler, Regierungsleute und Wirtschaftsvertreter. Gretchenfrage des Geheimtreffens, das unter dem Titel «The Genome Project Write» lief: Wie kann man menschliches Erbgut von Grund auf künstlich herstellen?
Aus dem Buch des Lebens abschreiben
Fussenegger selbst war nicht zugegen. Er weiss aber: Revolutionär neu ist die Idee nicht. Nachdem man das menschliche Genom entschlüsselt hat, werde in der Wissenschaft schon länger diskutiert, vom «Lesen» zum «Schreiben» überzugehen. Fusseneggers Euphorie hält sich aber, was «Project Write» angeht, in Grenzen: Es fehle schlicht der Weitblick. «Wir sind weit davon entfernt, wirklich zu verstehen, was wir im Buch des Lebens lesen», so der ETH-Forscher. Wer einfach abschreibe, erhalte lediglich bekannte Informationen.
Nichtsdestotrotz, der Biotechniker sieht durchaus Potenzial in der künstlich erzeugten DNA. Denn etwa in medizinischer Hinsicht lässt sie die Träume der Forschungsgemeinschaft höher fliegen: «Ähnlich wie bei Medikamenten, die wir heute in Pillenform einnehmen, wird man in Zukunft veränderte Zellbausteine in den Körper einbringen, um dort eine gewisse Heilung von Krankheiten zu erreichen.»
Der geistige Nachfolger von Doktor Frankenstein wird sich unter diesen Forschern eher nicht finden. Fussenegger rät auch davon ab, den «Labormenschen» zu erschaffen: «Ich denke, das sollte man nicht tun. Und nicht alles, was manche Leute durchführen möchten, wird auch gelingen.»