Sie waren ursprünglich Österreicher, dann wurden sie Schweizer: Vor 100 Jahren gründete die Artistenfamilie den «Schweizer National-Circus». Heute ist er wahrhaftig zum Nationalzirkus aufgestiegen – einer eidgenössischen Institution, die Generationen verzaubert hat und noch heute Kinderaugen funkeln lässt.
An der wechselvollen Geschichte des Zirkus Knie spiegelt sich auch diejenige der Schweiz: der Wandel der Zeiten, des Zeitgeistes und der Mentalitäten. Nun bricht der legendäre Zirkus-Clan, der seit 200 Jahren durch Europa fährt, zu seiner Jubiläumstournee auf.
Am Anfang war Marie
Die Mutter war die Chefin der kleinen Freilicht-Artisten-Truppe. Und Marie sagte Nein zum grössenwahnsinnigen Unternehmen ihrer vier Söhne. Doch Friedrich, Rudolf, Karl und Eugen gehorchten nicht: Sie kauften das erste riesige Zelt – auf Pump. Am 14. Juni 1919 fand auf der Schützenmatte in Bern die Eröffnungsvorstellung statt. Sie wurde ein voller Erfolg. Es war die Geburtsstunde des Schweizer Nationalzirkus.
Heute ist der Zirkus-Clan eine Aktiengesellschaft, ein 230 Mitarbeiter-Betrieb, ein millionenschweres Familienunternehmen, das weder Umsatz- noch Gewinnzahlen veröffentlicht. Dass Zirkus ein Auslaufmodell ist, glaubt der 65-jährige Franco Knie nicht: «Solange es Kinder gibt, gibt es auch Zirkus. Gerade heute, in dieser schwierigen Zeit, braucht man einen Ort, an dem man den Alltag vergessen und wieder träumen kann.»
Der Ernst des Lebens ist beim Zirkus viel ernster als jeder glaubt.
Träumen vom Knie, von damals. Noch 1937 gab es eine «Liliputaner-Kompanie». Zwanzig kleinwüchsige Menschen wurden vorgeführt und ausgestellt. Und 1958 wurden leibhaftige Indianer eingeflogen. Die Schweizer Filmwochenschau berichtete:
In seiner langen Geschichte war der Zirkus auch den Stürmen ausgesetzt, die über Europa hinwegfegten. Er landete auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten, 1943 kam es zwar zu einem Wiedergutmachungs-Auftritt vor Hitler in Berlin. Den Handschlag mit dem «Führer» hat Fredy Knie jedoch vermieden.
Solange es Kinder gibt, gibt es auch Zirkus.
In der Nachkriegszeit wurde Knie zum begehrten Arbeitgeber in der unversehrten Schweiz. Wo Knie gastierte, kamen die Menschen in Scharen. In den 1970er-Jahren wollten sie Dimitri und Emil – die Vorstellungen waren ausverkauft. Abgewiesene beschimpften das Personal, ja bespuckten es sogar.
Der Zirkus brachte Persönlichkeiten hervor. Allen voran den Übervater, den unangefochtenen Patron Fredy Knie Senior (1920 bis 2003): «Der Ernst des Lebens ist beim Zirkus viel ernster als jeder glaubt», sagte einst dieser weltberühmte Pferdeflüsterer.
Und es gab Klatsch und Tratsch: Charlie Chaplin im Publikum, Franco Knie vorübergehend mit der Prinzessin von Monaco und die Zirkus-Pleite von Louis Knie in Österreich:
Aber 2015 berichtet selbst «Glanz und Gloria» nicht über die schön schlanken Knie-Menschen, sondern über Dickhäuter:
Jetzt begeht der Nationalzirkus seine Jubiläumstour. In der Manege gibt’s Pferde, Schweine und Papageien in der Manege. Aber einer wird fehlen: Peter Wetzel, 24 Jahre lang war er dabei. Ein kleiner, und doch ein ganz Grosser.
Als Clown Spidy brachte er mit seinen weissgeschminkten Lippen und Augen die Menschen zum Lachen. Und nahm sich im letzten Sommer in dieser Zirkus-Glitzerwelt himmeltraurig das Leben.
Und Knie, der Zirkus, zieht weiter.