- In den anonymen sozialen Medien ist die Hemmschwelle für verbale Beleidigungen sehr tief.
- «Hate Speech» heisst der Fachbegriff. Das spüren auch Journalisten und Journalistinnen in den Online-Kommentaren.
- Mit der Aktion «Sag’s mir ins Gesicht» stellt sich die ARD-Tagesschau erstmals in einem Facebook-Livestream den ungehobelten Kritikern.
Am Montag war als Zweite die Inlandredaktorin und Moderatorin Anja Reschke an der Reihe, die anonym und schriftlich auch schon als «billige Bitch», «dussliges Suppenhuhn» und «arrogante Fresse» angegangen wurde. Aufs Maul sollte die «dumme Nudel» auch schon bekommen, und «verpissen» sollte sie sich, falls ihr Deutschland nicht passt.
Anja Reschke, Innenpolitik-Chefin des NDR, stellt sich Hass und Kritik.
Männer mit Vorteil?
Die Social-Media-Veranwortliche der «Tagesschau», Anna-Mareike Krause, zieht nach zwei von insgesamt drei «Live-Runden» eine vorläufige Bilanz: Ging es am Sonntag beim Auftritt von «Tagesschau»-Chefredaktor Kai Gniffke noch sehr gemässigt und sachlich zu und her, so verschärfte sich der Ton bei Reschke merklich: «Wir waren überrascht, dass es mit den namentlich bekannten Reschke-Kritikern überhaupt sachliche Diskussionen gab. Ein User griff die Journalistin mit Worten an, die ich gar nicht wiederholen möchte.»
Uns ist aufgefallen, dass Reschke sehr viel härter betroffen war als Gniffke.
Krause betont, dass bei der ARD die Community-Strategie im Alltagsgeschäft völlig klar ist: Wer sachlich kommentiere, werde gestärkt. Wer pöble, andere beleidige oder gar justiziabel hetze, werde ausgeschlossen. Die auf drei Ausgaben begrenzte Live-Aktion sei aber nötig gewesen: «Wir wollen ein deutliches Zeichen setzen, dass Hasskommentare nicht willkommen sind.»
Nicht strafbar, aber mit «Hate»-Potenzial
Zu unterscheiden ist zudem zwischen justiziablem und nicht justiziablem «Hate Speech», wie Krause betont. Ersterer betrifft beispielsweise Drohungen oder die in Deutschland strafbare Leugnung des Holocaust.
Strafrechtlich nicht relevant und freie Meinungsäusserung sind dagegen etwa die Aussagen «alle Griechen sind faul» oder «Migranten sind willkommen, wenn sie sich an die Gesetze halten». Dies, obwohl damit der Ruf ganzer Volksgruppen in verallgemeinernder Weise verletzt wird und somit gewisse «Hate Speech»-Kriterien erfüllt sind.
«Menschen sollen wieder ein bisschen nachdenken, wenn sie ‹Du dumme Medienhure› schreiben.
Nun wartet Krause gespannt auf die dritte Ausgabe mit der Journalistin Isabel Schayani. Ihr vorläufiger Eindruck: Einigen Usern sei vielleicht wieder etwas bewusster geworden, dass auf der anderen Seite auch Menschen sitzen, die das lesen und sich verletzt fühlen können. «Dass Menschen vielleicht wieder ein bisschen nachdenken, wenn sie ‹du dumme Medienhure› schreiben», umschreibt Krause das wichtigste Ziel der Aktion.