Zum Inhalt springen
Video
Coop-Grossbäckerei bringt Mitarbeitende ans Limit
Aus Kassensturz vom 08.02.2022.
abspielen. Laufzeit 7 Minuten.

Arbeitsstress bei Coop Coop-Grossbäckerei bringt Mitarbeitende ans Limit

Von prekären Arbeitszeiten in der Grossbäckerei Schafisheim berichten Coop-Mitarbeitende. Sie arbeiten bis ans Limit.

«Ich bin müde und ausgelaugt, die Erholung ist einfach zu kurz», berichtet ein Coop-Bäcker, der anonym bleiben möchte. Er arbeitet immer wieder sechs Tage pro Woche, um seine Minusstunden aufzuholen. Denn er wird so eingeteilt, dass er unter der Woche regelmässig nicht auf seine vertraglich vereinbarten 41 Stunden kommt. «Ich müsste pro Tag 8 Stunden und 12 Minuten arbeiten, komme aber oft nur auf 7 Stunden und 50 Minuten oder weniger. Da häufen sich die Minusstunden an, und wir müssen auch am Samstag arbeiten.»

Die Mitarbeitenden werden so eingeplant, dass sie ihre vertraglich vereinbarten 41 Stunden nicht in fünf Tagen abarbeiten können.
Autor: Anne Rubin Unia-Verantwortliche für den Detailhandel

Der Bäcker ist kein Einzelfall. Arbeitsrapporte zeigen: Mitarbeitende werden immer wieder mit weniger Stunden als die Soll-Arbeitszeit eingeplant. Diese Minusstunden müssen sie mit zehn und mehr Sechstagewochen pro Jahr wieder aufholen.  

Gewerkschaft Unia sieht Handlungsbedarf

«Kassensturz» zeigt die Arbeitsrapporte der Gewerkschaft Unia. Anne Rubin, die Verantwortliche für den Coop-Gesamtarbeitsvertrag, ist empört: «Wir werden mit Coop darüber diskutieren.» Minusstunden in dieser Form seien so nicht im GAV oder im Arbeitsvertrag abgemacht. Kommt hinzu: Mit dem Abarbeiten der Minusstunden am Wochenende würde die Höchstwochenarbeitszeit von 45 Stunden regelmässig überschritten. Coop hingegen beruft sich auf eine Ausnahmeregel im Arbeitsgesetz, die 49 Stunden erlaubt.

Wer die meisten Minusstunden hat, muss am Samstag arbeiten. Kann er am Samstag nicht, muss er am Sonntag arbeiten.
Autor: Coop-Mitarbeitende

Anne Rubin: «Die Mitarbeitenden werden so eingeplant, dass sie ihre vertraglich vereinbarten 41 Stunden nicht in fünf Tagen abarbeiten können.» Im GAV steht: «Die wöchentliche Arbeitszeit ist in der Regel auf fünf Tage verteilt.» Anne Rubin von der Unia hält fest, Sechstagewochen sollten die Ausnahme bleiben, zehn oder mehr Sechstagewochen im Jahr seien zu viel. «Solche Arbeits-Rhythmen sind ungesund, es macht die Leute kaputt.» Coop hingegen sagt: «Die Fünftagewoche wird bei Coop gemäss Auswertungen grossmehrheitlich und im Durchschnitt eingehalten.»

Video
Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht: «Wenn eine Firma systematisch das Risiko auf die Mitarbeitenden überwälzt, greift das Gesetz ein»
Aus Kassensturz vom 03.02.2022.
abspielen. Laufzeit 10 Sekunden.

Privatleben kommt zu kurz

Besonders die regelmässige Abarbeitung der angehäuften Minusstunden macht den Coop-Mitarbeitenden zu schaffen: «Wer die meisten Minusstunden hat, muss am Samstag arbeiten, kann er am Samstag nicht, muss er am Sonntag arbeiten.» Ihr Privatleben würde so zu kurz kommen, berichten mehrere Betroffene.

Fürsorgepflicht und Stresshaftung

Box aufklappen Box zuklappen

Gerade bei Arbeiten, die Mitarbeiter ans Limit bringen, sollte der Arbeitgebende die gesetzliche Fürsorgepflicht berücksichtigen. «Arbeitgebende müssen ganz losgelöst vom vertraglichen Umfeld auf die Mitarbeitenden Rücksicht nehmen. Wenn sie feststellen, dass Mitarbeitende in gesundheitliche Probleme durch Belastung im Beruf geraten, müssen sie dies mit den Angestellten anschauen und nötigenfalls Massnahmen ergreifen», erklärt der Arbeitsrechts-Professor Roger Rudolph. Bleibt der Arbeitgebende untätig, könne er gestützt auf die sogenannte Stresshaftung für den Schaden haftbar gemacht werden, der durch die Überlastung beim Mitarbeitenden verursacht wird.

Der Arbeitsrechts-Professor Roger Rudolph verweist auf eine Schutzfunktion, wie sie im Obligationenrecht vorgesehen ist: «Wenn Arbeitgebende systematisch weniger Arbeit zuweisen, um das Betriebsrisiko auf die Arbeitnehmenden zu verlagern, dann greift das Gesetz. Ganz unabhängig davon, was im Vertrag steht. Auf längere Frist wenig Arbeit zuweisen, das ist für mich eine Verletzung des Gesetzes.»

Video
Gespräch mit Luc Pillard, Personalchef Coop
Aus Kassensturz vom 08.02.2022.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 9 Sekunden.

Coop nimmt Stellung

Box aufklappen Box zuklappen

Kathrin Winzenried (SRF): Luc Pillard, Sie sind Personalchef von Coop. Was läuft schief in Ihrer Grossbäckerei in Schafisheim?

Luc Pillard, Personalchef Coop: Nachdem ich die Ausführungen meiner Kolleginnen und Kollegen gehört habe, möchte ich zuerst sagen, dass es mir leid tut. Ich bedauere, dass sie so unter Druck stehen und entschuldige mich dafür.

Was löst dies bei Coop nun aus?

Wir haben nun Massnahmen ergriffen. Eine davon: Wir haben den sechsten Tag der Bäckerei-Nachtschichten ausgesetzt und erfassen auch keine Minusstunden mehr.

In der Nacht, und am Tag?

Am Tag haben wir die Arbeitsplanung sofort überarbeitet, damit es zu keinen Verstössen mehr kommt.

Einen GAV-Verstoss hat es gegeben. Aber auch einen Verstoss gegen das Obligationenrecht. Warum wollen Sie das am Tag weiterhin so beibehalten?

Wir sehen das anders. Es liegt in der Natur eines Dreischichtenbetriebs, dass man nicht auf 41 Stunden kommt. Darum wird ein sechster Tag eingeschaltet, was das Gesetz auch so erlaubt. Wir sind auch der Meinung, dass wir mit unserem GAV abgedeckt sind, in dem wir Bandbreiten in einem Arbeitszeitenreglement definiert haben. Man kann so mal mehr oder mal weniger arbeiten.

In Ihrem Reglement steht nichts davon, dass die Mitarbeitenden fix damit rechnen müssen, jeden Tag Minusstunden anhäufen und mit einem sechsten Arbeitstag abarbeiten zu müssen. Der sechste Tag ist zwar erwähnt, die Minusstunden sind so aber nicht erwähnt. Das ist ein Gesetzesverstoss. Warum halten Sie daran fest?

Bei der Rekrutierung wird immer erwähnt, dass wir das Dreischichtenmodell so handhaben.

Schriftlich steht das nirgends. Ich halte nochmals fest, gemäss Gesetz geht das nicht. Die Mitarbeitenden müssten nun gegen Coop klagen.

Soweit muss es nicht kommen. Sie haben mit der Unia gesprochen. Aber zu unseren Sozialpartnern gehören auch der kaufmännische Verband Syna und der Verein der Angestellten Coop. Selbstverständlich werden wir das auch mit ihnen sofort anschauen und wenn nötig korrigieren.

Was heisst das genau? Was muss passieren? Die Mitarbeitende sagen, sie seien am Limit. Reicht Ihnen das nicht?

Wir haben ihren Hinweis sofort aufgenommen und Massnahmen ergriffen. Wir haben den sechsten Tag gestrichen und die Minusstunden eingefroren. Wir gehen das Thema ernsthaft an.

Es ist nicht das erste Mal, dass «Kassensturz» über Coop berichtet. Auch andere Medien haben darüber berichtet. Sie sagen, Sie gehen es an und doch passiert es wieder. Was läuft im System falsch? Sind die Vorgesetzten unter Druck, weil sie Ende Monat Zahlen einhalten müssen?

In den letzten zwei Jahren hatten wir mit Corona eine Ausnahmesituation. Wir hatten einen Versorgungsauftrag. Die Bäckerei beliefert die Hälfte von unseren 950 Supermärkten mit frischem Brot, auch wenn die Mitarbeitenden krank oder in Quarantäne sind. Dass dies zu Drucksituationen führen kann und die kurzfristige Planung vielleicht nicht korrekt ist, schliesse ich nicht aus.

Das Problem ist aber nicht kurzfristig, es ist systematisch. Mit Corona hat das offensichtlich nichts zu tun, es passierte bereits vorher. Was läuft falsch?

Sie haben mich nun eher auf die Kultur angesprochen?

Ja, aber auch auf den finanziellen Druck. Sind die Vorgesetzten so unter Druck, dass sie die Mitarbeitenden so auspressen müssen?

Das kann ich so nicht bestätigen. Wir haben in den letzten zwei Jahren viel zusätzliche Mitarbeitenden eingestellt. Wir arbeiteten mit temporären Kräften, um den hohen Anforderungen auch begegnen zu können.

Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören Ihnen nun zu. Sie sagen, Sie gehen es in Schafisheim jetzt an. Konkret: Womit können die Angestellten dort jetzt rechnen?

Ich möchte erwähnen, dass unsere Mitarbeitenden verschieden Möglichkeiten haben, sich an jemanden zu wenden. Das nimmt bereits Druck weg. Wir haben eine Personalabteilung, wir haben einen Sozialdienst, wir haben auch eine Personalkommission. Und auch die externen Sozialpartner.

Hat sich denn jemand gemeldet?

Bei mir nicht. Ob bei den anderen Stellen, weiss ich nicht.

Der Kanal ist offenbar nicht ideal. Konkret, was machen Sie nun für die Mitarbeitenden?

Die Sofortmassnahmen habe ich bereits aufgeführt. Zudem werden wir zusammen, unter anderem mit unseren Sozialpartnern, ganz genau hinschauen, was wir tun können, damit die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden besser werden.

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

Box aufklappen Box zuklappen

Kassensturz, 08.02.2022, 21:05 Uhr

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel