«Ich bin müde und ausgelaugt, die Erholung ist einfach zu kurz», berichtet ein Coop-Bäcker, der anonym bleiben möchte. Er arbeitet immer wieder sechs Tage pro Woche, um seine Minusstunden aufzuholen. Denn er wird so eingeteilt, dass er unter der Woche regelmässig nicht auf seine vertraglich vereinbarten 41 Stunden kommt. «Ich müsste pro Tag 8 Stunden und 12 Minuten arbeiten, komme aber oft nur auf 7 Stunden und 50 Minuten oder weniger. Da häufen sich die Minusstunden an, und wir müssen auch am Samstag arbeiten.»
Die Mitarbeitenden werden so eingeplant, dass sie ihre vertraglich vereinbarten 41 Stunden nicht in fünf Tagen abarbeiten können.
Der Bäcker ist kein Einzelfall. Arbeitsrapporte zeigen: Mitarbeitende werden immer wieder mit weniger Stunden als die Soll-Arbeitszeit eingeplant. Diese Minusstunden müssen sie mit zehn und mehr Sechstagewochen pro Jahr wieder aufholen.
Gewerkschaft Unia sieht Handlungsbedarf
«Kassensturz» zeigt die Arbeitsrapporte der Gewerkschaft Unia. Anne Rubin, die Verantwortliche für den Coop-Gesamtarbeitsvertrag, ist empört: «Wir werden mit Coop darüber diskutieren.» Minusstunden in dieser Form seien so nicht im GAV oder im Arbeitsvertrag abgemacht. Kommt hinzu: Mit dem Abarbeiten der Minusstunden am Wochenende würde die Höchstwochenarbeitszeit von 45 Stunden regelmässig überschritten. Coop hingegen beruft sich auf eine Ausnahmeregel im Arbeitsgesetz, die 49 Stunden erlaubt.
Wer die meisten Minusstunden hat, muss am Samstag arbeiten. Kann er am Samstag nicht, muss er am Sonntag arbeiten.
Anne Rubin: «Die Mitarbeitenden werden so eingeplant, dass sie ihre vertraglich vereinbarten 41 Stunden nicht in fünf Tagen abarbeiten können.» Im GAV steht: «Die wöchentliche Arbeitszeit ist in der Regel auf fünf Tage verteilt.» Anne Rubin von der Unia hält fest, Sechstagewochen sollten die Ausnahme bleiben, zehn oder mehr Sechstagewochen im Jahr seien zu viel. «Solche Arbeits-Rhythmen sind ungesund, es macht die Leute kaputt.» Coop hingegen sagt: «Die Fünftagewoche wird bei Coop gemäss Auswertungen grossmehrheitlich und im Durchschnitt eingehalten.»
Privatleben kommt zu kurz
Besonders die regelmässige Abarbeitung der angehäuften Minusstunden macht den Coop-Mitarbeitenden zu schaffen: «Wer die meisten Minusstunden hat, muss am Samstag arbeiten, kann er am Samstag nicht, muss er am Sonntag arbeiten.» Ihr Privatleben würde so zu kurz kommen, berichten mehrere Betroffene.
Der Arbeitsrechts-Professor Roger Rudolph verweist auf eine Schutzfunktion, wie sie im Obligationenrecht vorgesehen ist: «Wenn Arbeitgebende systematisch weniger Arbeit zuweisen, um das Betriebsrisiko auf die Arbeitnehmenden zu verlagern, dann greift das Gesetz. Ganz unabhängig davon, was im Vertrag steht. Auf längere Frist wenig Arbeit zuweisen, das ist für mich eine Verletzung des Gesetzes.»