«Wenn nichts mehr hilft», oder: «Ein Kind, das nicht mehr lacht», oder: «Morgen kann alles anders sein». Mit Titeln wie diesen locken die Arztromane ihre Käuferinnen an den Kiosk. Im Falle der Reihe «Dr. Norden» beispielsweise wird der Marsch zum Kiosk alle zwei Wochen fällig. So oft erscheint ein neues der schmalen Bändchen, stets gut 60 Seiten lang, seit über 40 Jahren. Ganz Fortschrittliche lesen ihren Roman mittlerweile als E-Book.
Klein, kurz, kitschig
Und manchmal, ganz manchmal, mischen sich auch die Vorbilder für die Hauptfiguren unter die Leserschaft. Brendan D. Kelly zum Beispiel, ein irischer Psychiater des Trinity College und Trinity Centre für Health Sciences in Dublin, blieb schon vor über zehn Jahren das erste Mal an einem Arztheftchen hängen – und war fasziniert. Er beschloss, 20 solcher Hefte wissenschaftlich auf Herz und Nieren zu untersuchen. Schon damals veröffentlichte das Fachmagazin «The Lancet» seine Ergebnisse – nun, zehn Jahre später, liess er eine zweite Studie zum Thema folgen.
Dabei zeigte sich: Herzschmerz bleibt Herzschmerz. Krank vor Liebe waren in allen untersuchten Heften stets heterosexuelle Paare. Früher sprühten noch vor allem in der Hausarztpraxis und auf dem Notfall die Funken, heute auch in Kinderkliniken. Und noch ein neuer Trend zeigt sich: Ärzte schweben im wortwörtlichen Sinn im siebten Himmel. «Es sind neuerdings sehr viele medizinische Teams in Flugzeugen oder Hubschaubern involviert», wundert sich Brendan D. Kelly, «weit mehr als im echten Leben.»
Götter und Göttinnen in Weiss
Anbetungswürdig sind sie, die Hauptpersonen, grossartige Mediziner, klar, aber auch muskulöse, dunkelhaarige Traummänner. Und ein wenig verletzlich, trotz aller Männlichkeit: In den untersuchten Romanen hatten alle einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften. In den Liebesreigen mischen sich in den neuen Ausgaben aber auch Krankenpfleger und Notfallsanitäter.
Gleiches gilt für die Ärztinnen – aktuell vor allem Kinderärztinnen, Chirurginnen und Internistinnen. Auch sie: bildschön, schlau, zielstrebig, empathisch und ebenfalls mit einer komplizierten beruflichen und privaten Vorgeschichte. Natürlich stellen sie im Zweifelsfall ihre Patienten über alles, auch über ihr Privatleben. Das haben die Patienten auch zwingend nötig, leiden sie doch überwiegend an lebensbedrohlichen Krankheiten. Zum Glück heilt die Liebe alle Wunden. Und so gibt es auch bei den tödlichsten Erkrankungen ein Happyend, ermittelte Brendan D. Kelly.
Liebe ohne schlüpfrige Details
Wer erwartet, nachlesen zu können, wie heiss es im Spital her geht, wird allerdings enttäuscht, sagt Elke Schiede. Sie schreibt unter dem Pseudonym Patricia Vandenberg seit 16 Jahren den «Dr. Norden». «Es ist zwar nicht mehr so keusch wie früher, es darf inzwischen schon ein bisschen knistern und auch mal ein Träger rutschen. Aber es gibt keine harten Sexszenen.»
Heile Welt in weissen Kitteln also, die sich ungebrochener Beliebtheit erfreut. Elke Schiede hat da ihre eigene Theorie: «Was meiner Ansicht nach den Arztroman heutzutage ausmacht: die Tatsache, dass entgegen der zunehmenden Kommerzialisierung der Medizin im Arztroman der ganze Mensch im Mittelpunkt steht und nicht nur sein Leiden.»
Dr. Kellys Studie nimmt sie denn auch mit Interesse zur Kenntnis. Bislang dienten ihr neben Fachliteratur und Zeitung befreundete Ärzte und Krankenschwestern als Lieferanten spannender Krankengeschichten. Nun kann sie sich auch auf eine aktuelle Studie stützen: «Den Hubschrauber könnte ich noch adaptieren. Ich lasse jetzt einen Hubschrauberlandeplatz bauen!»