Es war im Herbst 2018, als der Geologe Christian Schlüchter vom lokalen Förster im Engadin einen Hinweis bekam. Jemand habe beim Gletscher einen spannenden, freigeschmolzenen Stamm entdeckt.
«Bei so einer Meldung werde ich nervös und aufgeregt», sagt Schlüchter. Der emeritierte Professor der Uni Bern ist seit Ende der 80er-Jahre auf der Suche nach Gletscherholz.
Kleinere Holzstücke, Teile von Bäumen, das werde immer wieder gefunden. Was Schlüchter dann aber beim Morteratschgletscher sah, hätte er nicht erwartet: ein etwa zwei Meter langes Stammstück einer Lärche mitsamt Wurzelstock. Sogar Teile der Rinde waren noch dran.
«Das ist einmalig», sagt Schlüchter, so etwas habe er in den Alpen noch nie entdeckt. Bei Holzfunden gebe es immer eine zentrale Frage: «Wie weit vom Fundort sind die Bäume gewachsen, wie weit hat sie der Gletscher transportiert?»
Ein Baum in diesem Zustand müsse in unmittelbarer Umgebung gestanden sein, sonst sähe der Stamm anders aus, sagt Schlüchter.
Diese Erkenntnis bedeutet, dass dort, wo heute erst noch Gletscher war, früher einmal Bäume gewachsen sind. Das zeige, dass der Morteratschgletscher einmal deutlich kleiner gewesen sei als heute.
Es gebe aber noch eine zweite Erkenntnis, gibt Schlüchter zu bedenken: Der Stamm verrate nämlich auch etwas über die Zeit nach der letzten Eiszeit.
Die letzte Phase dieser Eiszeit endete vor etwa 11'700 Jahren. Nun haben Untersuchungen gezeigt, dass die Lärche aus dem Gletscher vor etwa 10'800 Jahren angefangen hat zu wachsen.
Knappe 1000 Jahre nach dem Ende der Eiszeit, habe es dort oben also schon wieder Lärchen gegeben, sagt Schlüchter. «Das zeigt die unerhörte Dynamik, die wir hier sehen», erklärt Geologe Schlüchter.
Das Holz wird nun noch weiter untersucht. Ein Teil des grossen Stammes wird künftig im Museum in Pontresina zu sehen sein.