Am Formula-E-Rennen in Bern starten mit Sébastien Buemi und Edoardo Mortara auch zwei Schweizer Piloten. Einen hiesigen Rennstall vermisst man allerdings. Trotzdem wird auch in der Schweiz an elektrisch betriebenen Boliden gearbeitet.
Studenten der Fachhochschule Bern haben einen Elektro-Rennwagen konstruiert, der in 3.5 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen kann. Ähnliche Werte erreichen nur Sportwagen, der Porsche 911 Turbo etwa.
Mit ihrem Boliden treten die Studenten gegen Teilnehmer aus anderen Ländern an bei den internationalen Rennen der «Formula Student».
Unscheinbare Hightech
Der nächste Wettbewerb findet Anfang Juli in der Niederlande statt. Beim Besuch in der Garage in Biel hatten die Studenten ihr Fahrzeug in die Einzelteile zerlegt. Ohne Räder, Elektromotoren, Batterien und Chassis erinnert das Vehikel an eine Seifenkiste – auf den Fotos wirkt das verschalte Auto dann aber imposant wie ein Formel-1-Rennwagen.
Der Aufbau ist filigran: An fünf dünnen Stängeli sind Räder und Motoren angebracht. «Ich habe auch gestaunt, als ich die Stangen zum ersten Mal sah», meint Adrian Joss, der kurz vor dem Abschluss des Studienganges Automobiltechnik steht und als Geschäftsführer des Teams die Fäden in der Hand hält.
Vom Computer auf die Rennstrecke
Die Studenten entwarfen das Auto am Computer und simulierten fortlaufend seine Eigenschaften: Wie ist das aerodynamische Verhalten? Welche Wärme generieren die Komponenten? Wie viel Energie braucht das Fahrzeug auf den 22 Kilometern, die es für den Nachweis der Ausdauer im Rahmen des Wettbewerbs absolvieren muss?
Um die Simulationen auswerten zu können, benötigten sie Daten. Im Fahrzeug sind deshalb Sensoren angebracht, die etwa die Beschleunigung des Fahrzeugs in alle Richtungen messen und die Temperatur in den Motoren und Batterien überwachen und aufzeichnen. Diese Berechnungen am Computer seien erstaunlich genau. Adrian Joss schätzt die Abweichungen zum realen Fahrzeug auf etwa 10 Prozent.
Die komplexe Software, die sie für die Simulation der Rennstrecke benützen, haben die Studenten gekauft. «Leider konnten wir noch keine Informatiker überzeugen, bei uns mitzumachen», meint Adrian Joss. Gerade für Software-Entwickler gäbe es viel zu tun: Die Steuerung der Motoren oder der Kühlsysteme haben die Studenten selber programmiert. Die dazu notwendige Hardware hat ein Sponsor geliefert.
Sponsoring mit Naturalien
Zahlreiche Schweizer Firmen unterstützen das Team in Biel, vor allem mit Dienstleistungen oder Produkten. An Bares zu gelangen sei hingegen schwierig, so Adrian Joss.
Ein Unternehmen aus der Zentralschweiz hat die Kühlkörper für die beiden Elektromotoren nach Angaben der Studenten gefertigt. Andere Firmen fertigen nach Mass mit Spezialmaschinen Komponenten für die Aufhängung oder das Fahrgestell. In der Schweiz gibt es zwar keine Autofabriken, viele Unternehmen sind jedoch Zulieferer für die grossen Autohersteller. Ein namhafter Hersteller forscht an Motoren in einem Labor in der Schweiz.
Die Motivation der Sponsoren ist unterschiedlich: Einige finden das Projekt faszinierend, andere hoffen, später einmal einen der engagierten Studenten für ihr Unternehmen gewinnen zu können.
Komplexe Technik
Auch wenn man es dem Fahrzeug im Rohzustand auf den ersten Blick nicht ansieht, ist die Technologie dahinter komplex. Elektromotoren bestehen aus weniger Einzelteilen als Verbrennungsmotoren, die Steuerung ist dennoch anspruchsvoll: Die Drehzahl der Räder und das Drehmoment müssen ständig berechnet und justiert werden.
Eine andere Herausforderung ist die Steuerung der Energieversorgung. Hohe Temperaturen schaden den Lithium-Ionen-Akkus, im Extremfall kann Hitze sogar zur Gefahr werden.
Zum Einsatz kommt deswegen ein Akku-Management-System, dessen Komponenten drahtlos mit der zentralen Steuerung kommunizieren. Das gibt den Auto-Konstrukteuren grosse Flexibilität: «Wir könnten 10 Zellen zusammenpacken oder 150», sagt Adrian Joss. Am nächsten Rennen starten die Studenten mit einem Speicher, der 7.8 Kilowatt Stunden fasst.
Umfangreiches Rennreglement
Da die beiden Elektromotoren mit rund 600 Volt betrieben werden, müssen die Konstrukteure spezielle Sicherheitsvorkehrungen einhalten. Die Massnahmen sind Teil des Rennreglements, das 130 Seiten umfasst. Bevor ein Team überhaupt starten darf, wird minutiös überprüft, ob die Konstruktion allen Regeln entspricht. Diese Tests zu bestehen, sei an sich schon eine Leistung, meint Adrian Joss.
Als wären all diese Anforderungen nicht schon anspruchsvoll genug, müssen die Tüftler beim Planen auch noch ständig das Gewicht des Fahrzeugs im Auge behalten: Rund 200 Kilogramm bringt der Bolide auf die Waage, die Akkus machen mit 45 Kilos etwa einen Fünftel des Gesamtgewichtes aus.
Bei einigen Disziplinen des Wettbewerbs ist denn auch die wichtigste Eigenschaft des Piloten sein geringes Körpergewicht, fahrerisches Können ist weniger gefragt.
Zusammenarbeit entscheidend
Neben den technischen Herausforderungen gilt es, das Team zu koordinieren. Mit dem Wissen, das sich die Studenten im Studium aneignen, könne zwar jeder für sich ein Chassis oder ein anderes Bauteil fertigen. Am Schluss müssten die einzelnen Teile aber auch zusammenpassen. «Ich habe gemerkt, wie wichtig Kommunikation ist», sagt Adrian Joss. Die Erfahrungen, die er im «Formula Student Team» sammeln konnte, seien einzigartig und würden von künftigen Arbeitgebern sehr geschätzt.
Wie es für ihn nach dem Studium weitergeht, weiss er noch nicht genau: Gut möglich, dass er ans Grundstudium noch einen Master anhängt. Dann müsste er nach drei Jahren im Rennteam kürzer treten, weil sein Arbeitspensum eine Halbtagsstelle locker übersteigt. Ganz loslassen kann er aber nicht: «Dafür hat es mich zu stark gepackt».
(Sendebezug: Radio SRF 3, 21.6.2019, 8:40 Uhr)