An der Fussball-WM in Russland werden wir erstmals Trainer zu Gesicht bekommen, die ein Headset tragen. Nicht um zu telefonieren, sondern um mit ihrem Daten-Diagnostiker zu sprechen. Die Trainer haben also künftig «einen Mann im Ohr». Der sitzt auf der Tribüne und beobachtet das Spiel. Er schaut, was gut läuft und was nicht – von Auge aber auch mit Hilfe von Live-Videostreams auf seinem Notebook und Analyse-Software. Seine Erkenntnisse übermittelt der Daten-Diagnostiker dann dem Trainer, der während des Spiels die Strategie immer wieder anpassen kann.
Diese Kommunikation ist seit 1. Juni von der Fifa bewilligt, erzählt Sascha Stauch, der beim Schweizer Fussballverband zuständig ist für Spielanalyse und Spielentwicklung. Das Beispiel zeigt, wie wichtig Diagnostik im modernen Fussball geworden ist. Das beginnt bereits im Training, wie ein Besuch beim FC Basel zeigt.
Mit GPS-Tracking effizienter trainieren
Joël Langenauer arbeitet beim FCB als Leistungs-Diagnostiker und Konditions-Trainer. Als ich ihn darauf anspreche, dass heute auch Automechaniker «Diagnostiker» heissen, antwortet er lachend: «Ich hoffe, wir müssen nicht auch bald bei den Spielern einen Computer anschliessen, damit wir wissen, ob sie 'tschutten' können – oder nicht».
Doch der Gedanke ist gar nicht abwegig, denn Langenauer liest tatsächlich regelmässig die «Werte» seiner Spieler aus – nicht direkt aus dem Mensch allerdings, sondern aus einem GPS-Tracker. Den tragen die Spieler – auch jene des Nachwuchses – so gut wie bei jedem Training und bei jedem Match.
Die Geräte zeichnen jede Bewegung auf und messen die Beschleunigung, also auch Sprünge, Kopfbälle oder Körperkontakte. Seit diesem Jahr setzt der FCB diese mobile Technologie ein, neben dem schon länger fix installierten LPM (Local Position Measurement).
Unterstützung für den Trainer, am besten in Echtzeit
Aus den Daten kann Joël Langenauer verschiedene Schlüsse ziehen. Er kann sie international vergleichen und Soll-Werte ableiten, welche die Spieler erreichen müssen, um vorne mit dabei zu sein. Weiter kann er einen ganzen Jahrgang von Spielern verfolgen und schauen, wie sich erfolgreiche Spieler von denen unterscheiden, die nicht reüssierten.
Die Daten helfen auch beim Training. Dafür definiert der Trainer einen sogenannten «Trainings-Load»: eine Art Pflichtenheft, das festlegt, was ein Spieler im nächsten Training alles erreichen muss. Die Kontrolle, ob der spieler diesen «Load» erfüllt, war bis anhin ganz von der Beobachtung des Trainers abhängig. Dank den GPS-Trackern aber kann Joël Langenauer nach den Trainings überprüfen, ob die Eindrücke des Trainers stimmen.
Ein unschätzbarer Vorteil, der nur noch zu überbieten ist durch eine Echtzeit-Analyse: Der Daten-Analyst sitzt während des Trainings am Rand des Spielfelds und sieht auf dem Computer jederzeit, welche Spieler den «Trainings-Load» gerade erfüllen und welche nicht. Anpassungen sind dann sofort möglich und nicht erst im nächsten Training.
Der FCB setzt Live-Analyse bis jetzt erst in der 1. Mannschaft ein. Joël Langenauer peilt den Fortschritt aber auch für die Nachwuchsmannschaften an. Das werde genau so kommen wie die Möglichkeite, dank immer mehr Daten ganze «Mannschaftsgefüge» anzuschauen und taktische Auswertungen durchzuführen.
Nicht nur Spieler, sondern ganze Spiele transparent machen
Eine Technologie dazu hat das Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln entwickelt. Doch Institutsleiter Daniel Memmert macht mehr als nur Leistungswerte einzelner Spieler auszuwerten oder Ballkontakte zu zählen. Seine Algorithmen und neuronalen Netze erfassen Spielsituationen und deren Muster und analysieren die Dynamik eines Fussballspiels.
Die Software benötigt acht Sekunden, um ein komplettes Spiel in drei Leistungsindikatoren aufzuschlüsseln aus den Positionsdaten der Fussballspieler und des Balles: Raumkontrolle, Pressing-Index und Pass-Effizienz-Index. Aus diesen Werten kann der Wissenschaftler Empfehlungen ableiten, wie ein Trainer seine Mannschaft – und nicht nur einzelne Spieler – besser auf Sieg trimmen kann.
Da sich die Qualität der Daten, die bei Trainings und Spielen anfallen, in den nächsten Jahren verbessern wird, geht Memmert davon aus, dass die Technologie schon bald in Echtzeit einsetzbar sein wird. Theoretisch könnte dann ein Knopf im Ohr eines jeden Spielers mit individuellen Anweisungen einer computergenerierten Stimme das Schreien des Trainers vom Spielfeldrand überflüssig machen. Und auch der Daten-Analyst auf der Tribüne könnte sich ganz dem Spiel widmen, wie ein normaler Fan.