Probleme auf der Ferienreise, verwickelt in einen Verkehrsunfall oder geblitzt auf der Autobahn: Täglich werden Juristen, Anwälte und Rechtsschutzversicherungen mit Fragen zu einfacheren und gröberen Rechtsfällen kontaktiert. Fragen, die auch ein Roboter beantworten kann. Tönt nach Science-Fiction – ist aber Realität.
So etwa beim Rechtsschutz von Coop. Ihr digitaler Anwalt heisst Blitzbot und ist, wie der Name verrät, auf Geschwindigkeitsüberschreitungen spezialisiert. In einem Chat erörtert Blitzbot die Fälle.
«Haben Sie die Busse bereits erhalten?»
Ioannis Martinis, Projektleiter für künstliche Intelligenz bei Coop Rechtsschutz, erklärt. «Man gibt Blitzbot an, dass man geblitzt wurde. Dann stellt der Roboter die automatisierte Frage ‹In welchem Bereich?›.» Denn wie jeder weiss, macht es einen Unterschied, ob man 10 zu viel in der 30er-Zone oder etwa auf der Autobahn fährt.
Ab hier werden die Fälle spezifischer. Je nachdem beginnen unterschiedliche Fristen zu laufen – zum Beispiel, wenn man eine Einsprache machen möchte. Deshalb stellt Blitzbot gleich die nächste Frage, die auch ein Jurist stellen würde: «Haben Sie die Busse bereits erhalten?»
Das Wissensmonopol bröckelt
Der Blitzbot fordert vom Kunden weitere Informationen an, bis seine Einschätzung vorliegt. Auch komplexere Fälle mit Ausweisentzug und Wiederholungsfälle kann der digitale Jurist genau beantworten. Gefüttert mit Gesetzestexten, Gerichtsurteilen und Online-Informationen kann die künstliche Intelligenz selbständige Einschätzungen abgeben. Jurist Martinis sieht darin einen grundsätzlichen Wandel in der Branche.
Das Rechtswissen sei Jahrzehnte lang von Anwälten, Gerichten und der Lehre monopolisiert worden, sagt Martinis. Aber heute sei es auch für Nichtjuristen möglich, sich zu informieren und sich zu orientieren. «Grundsätzlich geht es dabei auch ein bisschen um das Aufbrechen dieses Wissensmonopols.»
«Es könnte sich als Bumerang erweisen»
Technologie als Türöffner zur Jurisprudenz. Eine durchaus positive Entwicklung, meint auch die Stiftung für Konsumentenschutz. Gleichzeitig hebt Mediensprecher Alex von Hettingen aber den Warnfinger bezüglich Datenschutz. «Heikel wird es, sobald die Informationen persönlich werden.» Das heisst: Wenn sie mit Adressen und persönlichen Angaben versehen werden.
Aus solchen Daten könnten zum Beispiel Risikoprofile erstellt werden. «Die Versicherungen haben natürlich ein Interesse daran, möglichst viel über ihre Kunden zu wissen, weil sie daraus auch die Prämien berechnen können», so von Hettingen. Risikoprofile seien dafür geeignete Instrumente.
Kurzfristig kann eine Juristen-Software also einfacher und günstiger sein. Aber der Konsumentenschutz warnt: «Es könnte sich als Bumerang erweisen, wenn beispielsweise einige Jahre später die Prämien steigen.»
Informationen nur gegen Daten?
Bei Coop Rechtsschutz ist man sich der heiklen Situation bewusst. Der Blitzbot wird nur von internen Juristen in der Kundenberatung verwendet. Öffentlich zugänglich ist die künstliche Intelligenz noch nicht. Weiter sagt der Versicherungsjurist Martinis, dass die Anfragen komplett anonym erfolgen und sie nicht abgespeichert werden. «Datenschutztechnisch ist es deshalb unbedenklich.»
Aber der Digitalisierungsexperte ist sich bewusst, dass auch andere Geschäftsmodelle möglich sind. «Etwa, wenn man seine Daten freigeben muss und im Gegenzug Rechtsinformationen bekommt.» Solche Modelle seien natürlich denkbar. Ob sie sich etablieren können, werde die Zukunft weisen, so Martinis. Doch genau die Ausgestaltung der Modelle wird letztendlich aber darüber entscheiden, ob solche digitalen Juristen auch wirklich hilfreich sind für die Kunden.