SRF News: Sie sagen, Doping-Bekämpfung sei wie Schattenboxen. Was meinen Sie damit?
Louis Meili: Verbände und Funktionäre hoffen, das Thema über Doping-Bekämpfung eingrenzen zu können und in den Griff zu bekommen. Dies funktioniert aus mehreren Gründen nicht: So lebt der Sport von Höchstleistungen und Emotionen. Er lebt davon, das Gelder fliessen. Dazu braucht es Helden. Diese Helden müssen irgendwie aufgebaut oder – bösartig gesagt – aufgepäppelt werden. Im Endeffekt ist es aber so, dass sich der ganze Nachwuchsbereich an diese Spitzenleute heftet und meint, mit irgendwelchen Massnahmen besser zu werden. Ich befürchte, dass über die Doping-Bekämpfung eine Art Tuch gelegt wird, das dann mehr verschleiert anstatt Erkenntnisse zu schaffen.
Sollte Doping aus Ihrer Sicht ganz legalisiert werden?
Das wäre kopflos, naiv und blöd. Man würde damit nichts verbessern und verändern. Man müsste vielmehr versuchen, Erkenntnisse zu gewinnen. Denn jetzt stochern alle im Nebel. Wenn irgendein Spitzenathlet erwischt wird, kommt das grosse Ach und Herrje. Tatsache ist aber, das wir nicht genau wissen, was läuft. Ich habe wiederholt gefordert, dass man versuchen sollte, möglichst viele Erkenntnisse zu gewinnen. In dem Sinne also das Doping «freigeben», aber gleichzeitig die Athleten verpflichten, an grossen Wettkämpfen und grossen Meisterschaften zu deklarieren, was sie tatsächlich genommen haben.
Ich befürchte, dass die Doping-Bekämpfung mehr verschleiert als sie Erkenntnisse schafft.
Es könnte also jemand sagen, er habe Epo genommen, und das wäre ok?
Ja, es geht genau in diese Richtung. Als Trainer stelle ich fest, dass man vielleicht gar nicht mehr so richtig trainieren will. Oder anders gesagt: Wir wissen schon gar nicht mehr, wie viel Leistung wir machen können, ohne dass wir zu Substanzen greifen. Wenn man das im Hochleistungsbereich deklarieren würde, könnte man sagen: Schaut, wir haben tatsächlich diese Mittel verwendet, um an der Spitze mitzufahren. Im Nachwuchsbereich sind wir aber noch am Üben. Wir versuchen unser Training zu verbessern. Wir verbessern Freizeit und Schlafverhalten und schauen, wie weit wir kommen. Das würde schon sehr viel bringen.
Entstünde dadurch nicht einfach ein Wettbewerb um das wirkungsvollste Doping?
Haben wir heute etwa eine andere Ausgangslage? Das ist ja genau das Problem. Wir stochern im Nebel herum. Niemand weiss genau, was läuft. Die Dopinglisten sind zum Teil nicht kongruent. Verschiedene Verbände haben unterschiedliche Listen. In verschiedenen Nationen gelten andere Regeln. So macht ohnehin jeder, was er will. Wenn aber eine gewisse Transparenz hergestellt werden könnte, wüssten wir, wer was genommen hat, und man könnte sich danach ausrichten.
Die Dopinglisten sind zum Teil nicht kongruent. So macht ohnehin jeder, was er will. Transparenz könnte helfen.
Der 100-Meter-Sprinter ist also in naher Zukunft in sechs Sekunden am Ziel. Wäre das die faire Zukunft des Leistungssports?
Das wird nicht so rasch möglich. Wir lernen aber daraus, wie sich die Finalisten etwa an einem Olympia-Final vorbereitet haben.
Der Grundgedanke des Sports ist es, eine Leistung mit den eigenen Mitteln des Körpers hervorzubringen. Würde das dann wegfallen?
Nein. Der Grundgedanke des Sports würde sich nicht ändern. Denn es liegt immer noch in der Verantwortung der Trainer, Eltern und Jugendlichen, wie man Sport treibt. Der Sportgedanke, wie er heute kommerzialisiert an grossen Wettkämpfen mit vielen Sponsoren vorgetragen wird, ist Show und Unterhaltung. Da gelten ohnehin spezielle Regeln.
Der Sportgedanke, wie er heute an grossen Wettkämpfen vorgetragen wird, ist Show und Unterhaltung. Da gelten ohnehin spezielle Regeln.
Sollten denn Kinder und Jugendliche freien Zugang zu Doping haben, wenn sie und der Trainer das deklarieren?
Das ist ein sehr schwieriger Bereich. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass ein Nachwuchssportler zuerst auf natürliche Weise unter die besten zehn Prozent der Welt kommen muss. Dann ist es vielleicht angebracht, über Doping nachzudenken. Wenn jemand das nicht schafft, so würde ich sagen: Hey Freunde, lasst uns einfach Sport treiben und Freude daran haben! Trainer und Eltern aber sind verantwortungslos und schon fast kriminell, wenn sie Doping für jemanden befürworten, der nicht im Leistungsbereich der Weltspitze ist.
Wer auf natürliche Weise unter die besten zehn Prozent der Welt kommt, kann allenfalls über Doping nachdenken.
Würde da nicht jeder Arzt lautstark auf die gesundheitlichen Bedenken hinweisen?
Leben heisst immer auch ein bisschen entscheiden. Wer sich entschieden hat, Leistungssport zu machen, versucht zuerst einmal, sein Training zu optimieren und im Endeffekt zu perfektionieren. Solange ist Doping eben kein Thema, weil es noch genügend Potenzial für Verbesserungen gibt.
Ist ein Hochleistungstraining an sich ungesund, mit oder ohne Doping?
Es ist ein Grenzbereich. Wenn man zu viel trainiert, gibt es Verletzungen. Wenn man zu wenig trainiert, kommt man nicht aufs Podest.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.