Viareggio an der toskanischen Mittelmeer-Küste. Ein klassischer Badeort. Die Strände mit ihren unzähligen Liegestühlen und Sonnenschirmen: makellos sauber.
Doch der Eindruck täusche, sagt Riccardo Cecchini, der Präsident des regionalen Verbandes der Umweltorganisation Legambiente. Zweimal pro Tag würden die Strände gereinigt. Sonst, sagt er, würde sich hier der Abfall türmen.
Vor allem über die Flüsse gerate der Plastikmüll ins Meer. Den Abfall, der in den Städten achtlos auf den Boden geworfen wird, spült der Regen in die Flüsse und Kanäle. 83 Prozent davon ist Plastik. Wattestäbchen, Flaschen, Deckel, Zigarettenfilter.
Solche Daten aus ganz Italien liefern die Umweltschützer von Legambiente an die Universität von Siena. Dort leitet Professorin Maria Cristina Fossi eines der bedeutendsten Institute, die sich mit Plastikverschmutzung von Meeren beschäftigt.
Fossi und ihre Crew sorgten mit einer Studie für Aufsehen. Sie wollten wissen, welchen Einfluss kleinste Plastikteilchen auf die grössten Lebewesen im Meer haben – auf die gegen 24 Meter langen Finnwale. Jedes Mal, wenn sie den Mund öffnen, filtern sie 70'000 Liter Wasser. Die Folge: In ihren Mägen sammeln sich riesige Mengen von Plastik an.
Und dieser Plastik bestehe zum grössten Teil aus Polyäthylen, aus welchem Verpackungen gemacht werden. Ihr internationaler Verbund von Forschern – die Plastic Busters – fordert deshalb, dass der Kampf gegen Einweg-Verpackungen verstärkt wird.
Plastic Busters erhält Gelder von der EU und der UNO und soll einerseits diagnostizieren, wo und wie stark die Verschmutzung des Meeres durch Plastik ist. Und aufzeigen, welche Folgen dies für die Lebewesen im Meer hat. Auch auf die Nahrungskette bis zu uns Menschen.
Verstärkt will Fossi sich auch der Frage widmen, ob die Schadstoffe aus diesen kleinen Plastikteilen in die Körper der Fische übergehen. Ob sich also die Fische so mehr und mehr selbst vergiften, wenn sie Plastik verschlucken.
Gleichzeitig macht sie zusammen mit der Industrie Tests, ob sich kompostierbarer Plastik auch im Meer vollständig zersetzt. Und sie setzt sich dafür ein, dass Fischer den Plastikmüll aus ihren Netzen ohne Mühe an Land entsorgen können.
Plastikproblem auch in Schweizer Böden
Die riesigen Mengen von Plastikmüll sind allerdings nicht nur ein Problem für die Meere. Auch direkt vor unseren Haustüren sammeln sich immer mehr grosse und kleine Plastikteile.
Gerade in der Sommerzeit, wenn es schön und heiss ist, wird das tagtäglich sichtbar. Für die Stadtreinigungen bedeutet das Hochbetrieb.
Doch nicht nur Littering ist das Problem. Stichwort Recycling – hier steht die Schweiz nicht besonders gut da. Nummer eins in Europa im Recyclen ist Tschechien mit einer Quote von rund 50 Prozent, es folgen Deutschland und die Niederlanden. Erst auf Platz 20 folgt die Schweiz mit etwas über 30 Prozent; der Rest wird verbrannt. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Recyclingquote in der EU liegt bei 40,8 Prozent.
Folgen für den Menschen noch unklar
Bernd Nowack ist Spezialist für Mikroplastik in der Umwelt bei der Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Plastik gebe es mittlerweile überall auf der Welt, sagt er. Selbst in der Antarktis, verteilt über die Luft und das Wasser.
Derzeit erarbeitet Nowack ein Modell, um die Wege und Mengen von Mikroplastik quer durch die Schweiz berechnen zu können. Und er stellt klar: «Die Wissenschaft hat derzeit noch keine Antworten auf die Frage, ob und inwiefern der Plastik in der Umwelt ein Problem für uns Menschen darstellt.»
Einfache Lösungen gibt es nicht
Noch kann Nowack keine konkreten Zahlen liefern. Für den Forscher ist aber klar: Der Grossteil des Plastiks in unseren Böden stammt von Littering, von Fasern aus Kleidungsstücken, die sich beim Waschen lösen, oder von Plastikplanen, die in der Landwirtschaft verwendet werden. Und die Mengen dürften beachtlich sein.
Trotzdem: Plastik generell verteufeln will der Empa-Forscher nicht. Das Material habe viele gute Eigenschaften. Und wenn zum Beispiel in der Landwirtschaft der vermehrte Einsatz von Pestiziden die Alternative für Plastik sei, gehe die ökologische Bilanz nicht auf. Ebenso nicht, wenn statt dem Plastiksack ein Baumwollsack nach einmaligem Gebrauch entsorgt werde.
Alarmismus helfe also wenig, konstatiert Bernd Nowack. Die Forschung müsse nun aber Zahlen liefern. Dann könne auch die Politik abschätzen, welche Massnahmen gegen die Plastikteilchen in Luft und Boden unternommen werden müssen.
Doch schon jetzt steht fest: Die Mengen von Plastik im Meer und im Boden sind gross – zu gross. Methoden, diesen wieder zu entfernen, sind entweder noch nicht ausgereift oder unrealistisch. Die konkreten Folgen dieser Entwicklung lassen sich derzeit zwar noch kaum abschätzen. Die EU will mit Plastik-Verboten erste Schritte gegen die Plastikberge unternehmen. Das Problem ist damit aber noch lange nicht gelöst.