Tag 1: Zensur reicht bis nach Peking
Vor dem Schalter der Air Koryo in Peking herrscht das blanke Chaos. Gleich zwei Maschinen fliegen heute von Peking nach Pjöngjang. Air China hat den Service für ein paar Wochen sistiert. Im Gegenzug baute die staatliche nordkoreanische Fluggesellschaft Air Koryo ihre Kapazitäten aus. Für uns heisst das: Die Reise beginnt schon in Peking mit einem Vorgeschmack auf Nordkorea.
Die Hierarchie am Check-in ist schnell klar: Zuerst kommen die Leute mit dem verräterischen Pin am Revers, dann die Touristen. Wahlweise gibt es solche Pins mit Staatsgründer Kim Il Sung oder mit Machthaber Kim Jong Il. Wer einen solchen Pin trägt, gehört dazu. Diese Pins dürfen eigentlich nur Nordkoreaner tragen, in ganz seltenen Fällen auch Ausländer, die dem diktatorischen Regime sehr nahe stehen. Der Vorteil: Wir erkennen sofort, wer dazu gehört und wer nicht.
Dass wir nicht dazu gehören, ist offensichtlich: Als Kameramann Lukas Messmer die Berge von bunt eingepackter Schmugglerware filmisch festhalten will, wie diese aufs Gepäckband gehievt werden, sind sofort zwei Frauen zur Stelle. Energisch und bestimmt verlangen sie, die Bilder zu löschen. Der Arm der Zensur reicht bis hierher. Unsere Reise wollen wir nicht schon jetzt riskieren. Deshalb fällt bis auf ein Bild das Beweismaterial des sehr offen praktizierten Schmuggels der Löschtaste zum Opfer. Unserer Reise nach Pjöngjang steht nichts mehr im Wege.
Tag 2: Hoch hinaus mit Juche
Als Gäste der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit), die hier in Pjöngjang den Status einer Schweizer Botschaft geniesst, haben wir das Privileg, privat zu wohnen. Im Unterschied zu den meisten Journalisten und Touristen müssen wir nicht in einem der wenigen komplett überwachten Touristenhotels übernachten. Das gibt uns mehr Freiheiten. So haben wir die Möglichkeit, Pjöngjang auch abends zu sehen, denn für normale Besucher ist um 20.00 Uhr Sperrstunde.
Doch so ganz frei sind auch wir nicht: Wir werden am engen Gängelband geführt. Zwei lokale Mitarbeiter der DEZA haben diese Woche die Aufgabe, uns zu betreuen: Frau Moon und Herr Kim.
Offiziell arbeiten die beiden im Team der DEZA. Ganz nebenbei schauen sie, dass wir von Nordkorea auch das mitbekommen, was ausländische Journalisten mitbekommen sollen. Dazu gehört der Besuch des berühmten Juche-Turms. Wir sollen lernen, was die Staatsphilosophie Juche bedeutet und wie das Land dank dieser prosperiert.
Tag 3: Tanz zum Tag der Arbeit
Die kommunistische Diktatur ist aufgeteilt in drei Klassen: Die Arbeiter, die Bauern und die Intellektuellen. Symbolisiert werden sie durch Hammer, Sichel und – als koreanische Eigenart – den Pinsel. Am 1. Mai haben alle frei, und das sollen wir sehen. Feiernde, glückliche Nordkoreaner wollen uns Herr Kim und Frau Moon zeigen. Unsere beiden Begleiter führen uns dazu in einen Vergnügungspark.
Kaum eine Woche ist vergangen, seit Kim Jong Un seine letzte Rakete getestet und die Halbinsel einen Schritt näher an den Rand eines möglichen Atomkrieges gerückt hat. Die Szenen wirken deshalb surreal und es bleibt ein bizarrer Beigeschmack.
Noch bizarrer wird es am Nachmittag. Auf dem Rückweg überzeugen wir unsere Aufpasser, dass wir unter einer Strassenbrücke einen kurzen Stopp einlegen wollen. Nordkoreanische Karaoke-Musik plärrt aus Lautsprechern. Offensichtlich betrunkene Koreaner feiern auch hier den Tag der Arbeit. Sofort werden wir zu Sozhu, dem einheimischen Schnaps, eingeladen. Spontan bieten uns die Feiernden gebratenen Fisch und Kimchi an. Der eingelegte Kohl, die Nationalspeise, darf an diesem Tag nicht fehlen.
Tag 4: Fahrt aufs Land
Wir verlassen Pjöngjang. Schnurgerade führt die Betonstrasse nach Osten in Richtung Wonsan, eine Hafenstadt in deren Nähe Kim Jong Un angeblich seine Testraketen abfeuert. Die Felder sind noch nicht bestellt. Erst in ein paar Wochen beginnt die Pflanzzeit für Reis. Bis dann werden die Arbeitskräfte andernorts gebraucht.
Es ist offenbar jetzt die Zeit der Strassenreparaturen. Wie üblich in Nordkorea werden solche Arbeiten im Frondienst verrichtet. Während Stunden werden wir Zeugen, wie Tausende Menschen mit blossen Händen Zement in Schlaglöcher schmieren, Kinder Steine aus Flussbetten schleppen, um die wichtigste Verkehrsader zwischen Hafen und Hauptstadt wieder in Stand zu setzen.
Tag 5: Ein menschenleeres Skigebiet
Nach einer Nacht in Wonsan erwartet uns ein Tag der Gegensätze. Die Strasse wird schnell schlechter, wir verlassen die Hauptverkehrsachse und schlängeln uns durch eine hügelige Landschaft. Die Humusschicht ist längst runtergewaschen. Nach der Abholzung macht sich Erosion breit. Daran arbeitet die DEZA. Sie hilft den Menschen in den abgeschiedenen Tälern, ihre Hänge zu sichern.
Nur ein paar Hügelzüge weiter sieht die Welt anders aus. Gondeln aus der Schweiz baumeln hier an Stahlseilen und warten auf Touristen. Wir sind im Skiresort von Masik-Ryong. Es ist das Prestigeprojekt von Kim Jong Un: Nordkoreas einziges Skigebiet. Einmal mehr lässt sich schwer verdauen, wie nah hier die Extreme zusammenliegen.
Tag 6: Wie zu Gesslers Zeiten
Wie ein UFO taucht langsam die Smogglocke aus den Reisfeldern auf. Wir sind zurück in Pjöngjang, zurück in der Scheinwelt der Kim-Dynastie. Die Reise aufs Land hat einmal mehr verdeutlicht, wie wenig die Stadt mit der Realität der allermeisten Menschen hier zu tun hat. Mit eiserner Hand hält Kim Jong Un sein Reich zusammen. Ausscheren gibt es nicht. Selbst der Strassenverkehr muss sich der Macht der grossen Führer unterordnen.
Tag 7: Eine Reise voller Gegensätze
Mein zweiter Besuch im abgeschotteten Reich neigt sich dem Ende zu. Herr Kim freut sich über die Flasche ausländischen Whiskeys, die ich ihm zum Abschied überreiche. Frau Moon soll sie nicht sehen. Auch sie versteckt die Schweizer Pralinen lieber gleich, als ich sie ihr diskret zustecke. Sie scheinen erleichtert, als wir Richtung Flughafen fahren. Doch sie werden dem Ministerium wohl noch einiges über uns zu berichten haben.