Experimentelle Corona-Therapie - «In der Not frisst der Teufel Fliegen»
Mangels Covid-19-Medikamenten lassen sich Patienten auf riskante Versuche ein und nehmen heftige Nebenwirkungen in Kauf. Doch die Hoffnungsträger der Medizin enttäuschen – zuletzt auch der Malaria-Wirkstoff Hydroxychloroquin.
«Damals hätte ich alles unterschrieben. Wenn man keinen anderen Weg mehr sieht, dann macht man das eben.» Josef Schmid ist Landwirt im Solothurnischen. 71-jährig. Bodenständig. Zäh. Und er war Anfang März einer der ersten Coronapatienten im Kantonsspital Olten.
Wo er das Virus aufgelesen hat, weiss er nicht. Vielleicht bei einem Ausflug in den Schwarzwald, vielleicht irgendwo anders. Egal. Jedenfalls wurde aus dem anfänglichen Hüsteln beängstigend schnell ein Kampf ums Überleben.
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Wie Josef Schmid den Beginn der Corona-Infektion erlebte
Aus Puls vom 25.05.2020.
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Nach vier Tagen kam zum Hüsteln Atemnot hinzu, und bald schon sass Josef Schmid einem besorgten Arzt gegenüber. «Da habe ich wirklich sehr schlecht ausgesehen», erinnert sich der Landwirt. «Das hat auch der Arzt gesagt. Und dass das Blutbild sehr schlecht aussehe.» Dass er eine Lungenentzündung habe und man sich jetzt etwas einfallen lassen müsse, weil die Viren ihn sehr aggressiv angegangen hätten.
Die Viren können sich in die Lunge reinfressen, hat es geheissen. Das gibt einem natürlich schon zu denken!
Josef Schmid kämpft, doch schliesslich gewinnt die Infektion die Oberhand. Intensivstation und künstliche Beatmung scheinen nur noch eine Frage der Zeit. Da schlagen ihm die Mediziner eine experimentelle Therapie vor: Eine Behandlung mit Malaria- und HIV-Medikamenten.
Für die drei «Virenkiller», wie Josef Schmid sie nennt, gab es allerdings keine Zulassung als Covid-19-Therapie. Darum musste der Schwerkranke schriftlich in die Behandlung einwilligen.
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«In so einem Moment unterschreibt man alles, weil man einfach keinen anderen Weg mehr sieht.»
Aus Puls vom 25.05.2020.
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«Da war ich in einer derart schlechten Verfassung, dass ich das Blatt kaum angeschaut habe. Ich habe trotzdem unterschrieben. Ich wusste, dass das Konsequenzen haben könnte in Bezug auf Nebenwirkungen, aber es ging mir wirklich sehr schlecht. Und wie sagt man so schön? In der Not frisst der Teufel Fliegen...»
Beim Therapieplan stützte sich der Infektiologe Rein Jan Piso auf Empfehlungen seiner Fachgesellschaft. Doch letztlich war Josef Schmids Wirkstoff-Cocktail, bestehend aus drei Präparaten, ein Ausprobieren. «Wir hatten relativ wenig Daten dazu, was einen klaren Nutzen hat und was nicht. Und dann ist man in einer Situation, in der man sagt: Ja, wenn es einen möglichen Nutzen gibt, dann wollen wir es eher einsetzen.»
Der lange Weg zurück ins Leben
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Das Coronavirus traf Stephan Feuz und Josef Schmid im März mit Wucht. «Puls» begleitet die beiden seither auf dem langen Weg der Genesung.
Nach der Einnahme der Medikamente ging es Josef Schmid erst einmal schlechter. «Ich verspürte eine wahnsinnige innere Unruhe, wusste nicht mehr wie liegen und habe mich nur noch irgendwie an die Matratze geklammert.» Er ist überzeugt, dass dies auf die Nebenwirkungen der drei Präparate zurückzuführen war, darunter das als bahnbrechend gehandelte Hydroxychloroquin.
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Wie Josef Schmid die Zeit nach dem Start der Medikamenteneinnahme erlebte
Aus Puls vom 25.05.2020.
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Nach einigen Tagen veränderte sich Josef Schmids Zustand – in der gewünschten Weise.
War die Wende zum Guten den Medikamenten zu verdanken? Rein Jan Piso ist skeptisch. «Natürlich möchte man es in so einer Situation den Medikamenten zurechnen, die man selber verschrieben und dann zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt hat. Rückblickend muss ich aber sagen, dass es wohl ähnlich verlaufen wäre, wenn wir sie nicht eingesetzt hätten.»
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«Wenn es einem Patienten besser geht, schreibt man das natürlich gerne den Medikamenten zu, die man verschrieben hat.»
Aus Puls vom 25.05.2020.
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Ernüchterung beim Infektiologen, zwei Monate nach seinen ersten Erfahrungen mit antiviraler Therapie bei Covid-Kranken.
Hoch gehandelte Hoffnungsträger wie das unter anderem vom US-Präsidenten Donald Trump medienwirksam gehypte Hydroxychloroquin konnten bis jetzt überhaupt nicht überzeugen. Im Gegenteil: Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Lancet-Studie kommt zum Schluss, dass sich für Hydroxychloroquin oder Chloroquin kein Nutzen nachweisen lässt.
Update: Studie inzwischen zurückgezogen
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Drei der vier Autoren verwiesen darauf, dass sie Zweifel an der Richtigkeit der von ihnen genutzten Daten nicht ausräumen können, wie das Journal mitteilte.
Nach Angaben in der nun zurückgezogenen Studie sollten die beiden Wirkstoffe sich wahrscheinlich nicht zur Behandlung von Covid-19 eignen und sogar womöglich die Todesrate erhöhen und zu Herzrhythmusstörungen führen. Die Forscher aus den USA und der Schweiz um Mandeep Mehra von der Harvard Medical School hatten die Studie in «The Lancet» vom 22. Mai veröffentlicht. Sie hatten nach Studien-Angaben Daten von gut 96 000 Patienten ausgewertet. Wegen der negativen Ergebnisse waren mehrere Studien zu Chloroquin und Hydroxychloroquin ausgesetzt worden. Letzteres steht auch deshalb unter besonderer Beobachtung, weil US-Präsident Donald Trump es wiederholt als Wundermittel gepriesen hatte.
Schlimmer noch: «In der Gruppe der Behandelten traten mehr Herzrhythmusstörungen und Todesfälle auf.»
Das negative Fazit hat bereits dazu geführt, dass die WHO die klinischen Tests mit den Malaria-Wirkstoffen ausgesetzt hat.
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Josef Schmids Familie unterstützte ihn im Kampf ums Überleben
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Josef Schmid hat das Gröbste überstanden, kämpft aber noch immer darum, seine alte Form zurückzugewinnen. Obwohl er regelmässig trainiert, ist die Lunge an manchen Tagen eng, das Atmen beschwerlich.
Für ihn ist klar, was ihm in der schweren Zeit im Spital am meisten geholfen hat: die Unterstützung seiner Familie. «Niemand durfte mich besuchen. Aber all die Durchhalteparolen und die Zeichnungen meiner Grosskinder, die ich zugeschickt bekommen habe – das war ein riesiger Ansporn zum Weiterleben!»
«In Basel geben wir kein Hydroxychloroquin mehr»
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«Puls»-Moderatorin Daniela Lager im Studiogespräch mit Maja Weisser, Kaderärztin und Infektiologin am Universitätsspital Basel. Sie und Ihr Team gehören zu den wichtigen Forschungszentren der Schweiz bei der Behandlung von Covid-19.
SRF: Man gibt etwas und schaut dann, ob und wie es wirkt. Wie wohl ist Ihnen dabei als Ärztin?
Maja Weisser: Uns allen ist dabei nicht wohl gewesen. Trotzdem war es notwendig, denn es kamen Patienten, die Behandlung brauchten. Es gab Ärzte und Zentren, die beschlossen, nichts zu geben. Wir gehörten zu jenen, die die Behandlungen gemacht haben. Am Anfang teils ohne Studien, dann immer mehr auch im Setting von Studien. Da lernt man jetzt mehr. Man weiss jetzt, dass das Medikament, das auch der Herr Schmid genommen hat, für viele Menschen nicht so gut war.
Eine aktuelle Lancet-Studie zeigt, dass die Therapie mit dem Malaria-Medikament Hydroxychloroquin eigentlich nichts nützt. Dass bei der Behandlung damit sogar mehr Herzrhythmusstörungen auftreten und die Anzahl Todesfälle gestiegen ist.
Herzrhythmusstörungen sind eine bekannte Nebenwirkung dieses Medikaments. Das war uns bewusst. Deshalb haben wir auch Patienten ohne Herzrisiken ausgewählt, wo auch keine anderen Medikamente mit Herzrhythmusstörungen als Nebenwirkung im Spiel waren. Damit wollten wir die Sicherheit erhöhen. Aber nachdem diese Daten nun erschienen sind, ist klar, dass man nicht mehr so weitermachen kann mit dieser Versuchstherapie.
Das Medikament wird also nicht mehr gegeben?
Wir geben es nicht mehr. Es ist jetzt auch «on hold» im grossen Solidarity Trial der WHO, wo versucht wird, die verschiedenen Medikamente miteinander zu vergleichen und ihren Nutzen zu bestimmen. Andere Medikamente wie Remdesivir sind in dieser grossen Studie aber weiterhin drin.
Das Ebola-Medikament Remdesivir war ebenfalls ein grosser Hoffnungsträger. Wie sieht es damit aus?
Es ist eigentlich kein Ebola-Medikament, sondern eine antivirale Substanz, die primär für Hepatitis C entwickelt wurde. Dann wurde sie bei Ebola getestet und nun wieder aufgenommen, weil sich gezeigt hat, dass sie gegen verschiedene Coronaviren wirkt.
Remdesivir ist eigentlich die antivirale Substanz, welche die beste Wirkung gezeigt hat. Bei Covid-Patienten in Spitalpflege, die aber noch keine Intensivpflege benötigen, scheint sie tatsächlich einen Nutzen zu haben. Die Ergebnisse einer ebenfalls dieses Wochenende veröffentlichten grossen Studie weisen jedenfalls darauf hin.
Ab wann haben wir ein Medikament, das gemacht ist für Covid-19?
Ob dafür gemacht oder nicht: Es muss vor allem wirken. Ich denke, Remdesivir wird einen Einsatz haben. In der Pipeline sind auch neue Substanzen, da wird weltweit massiv geforscht. Aber wann ein wirksames Medikament zur Verfügung steht, lässt sich nicht voraussagen. Hoffentlich in einem halben Jahr, oder in einem Jahr oder zwei.
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