Wochen im Shutdown, Monate im Homeoffice. Man braucht kein ausgesprochener Bewegungsmensch zu sein, um die Folgen der Corona-Massnahmen und nasskalter Wintertage am eigenen Leib zu spüren.
Der neue Alltag in den eigenen vier Wänden verdammt viele zu ungewohnter Bewegungsarmut. Kein morgendlicher Sprint auf den Bus. Kein Treppenlaufen im Geschäft. Kein Mittagessen am Takeaway um die Ecke. Kein abendliches Training im Sportclub.
Und kein Gang zur Schule.
«Puls»-Zuschauerin Fabienne Muheim macht eine Ausbildung zur Unterstufenlehrerin und verbringt ihre Schultage seit März 2020 nicht im Klassenzimmer, sondern vor dem Computer. Fernunterricht. Acht Stunden pro Tag. «Seither habe ich einfach wirklich Schmerzen im unteren Rückenbereich.»
Leider fällt mit den geschlossenen Hallen auch das geliebte Eiskunstlaufen als Ausgleich weg. «Und um zu Hause etwas zu machen, fehlt mir etwas die Motivation. Ich wüsste auch nicht so recht, was tun.»
Schmerzen und Bewegungsmangel – so wie Fabienne Muheim geht es dieser Tage vielen. Dem exemplarischen Hilferuf aus dem Homeoffice nimmt sich das SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» mit prominenter Verstärkung an: Dave Dollé war bis 2013 der schnellste Schweizer über 100 Meter und ist heute als Personal Trainer tätig.
Ein Besuch vor Ort soll zeigen, was sich tun lässt.
Als Erstes schaut sich der 51-Jährige den Arbeitsplatz der angehenden Lehrerin an. Hier nimmt sie mehrere Tage pro Woche am Fernunterricht teil. Sitzt stundenlang in Videokonferenzen. Mit schmerzhaften Folgen für den unteren Rücken.
Der erste Rat von Dave Dollé: Die Position auf dem Stuhl möglichst oft verändern. «Es kommt nicht darauf an, perfekt zu sitzen. Wichtig ist, nicht stillzusitzen!»
Und er sieht noch mehr Abwechslungs-Potenzial: Statt auf dem Stuhl zu sitzen, einfach mal auf Kissen knien. Was sich auch positiv auf die Durchblutung der Beine auswirkt, «denn kniend ist man eher gestreckt, und auch die Hüfte kann sich etwas bewegen. Der Rücken ist in einer anderen Position.»
Eine andere Variante für Positionsveränderungen: ein Stehpult, und sei es auch nur ein improvisiertes. «Den Laptop eine halbe Stunde etwas erhöhter positionieren, damit man davor stehen kann. Dann wieder zurück mit ihm auf den Tisch.» Und so weiter.
Was zählt, ist die Abwechslung, weiss Dave Dollé. Denn das Problem beim dauernden Sitzen ist, dass es die Gesässmuskulatur schwächt.
«Wenn man dann aufsteht, ist der Gesässmuskel deaktiviert, und der Rücken muss die ganze Arbeit übernehmen. Dabei verspannt er sich meistens.» Den Rücken müsse man sich deshalb nicht als Erstes anschauen, sondern erst einmal den Rest wieder zum Funktionieren bringen – was den Rücken entlastet.
Gesagt, getan. Für die erste Übung von Bewegungsprofi Dollé gegen die Rückenschmerzen von Fabienne Muheim wird eine zusammengerollte Matte benötigt; mehrere Badetücher erfüllen den Zweck ebenso gut. Auf die Rolle liegen, sich strecken, aufsetzen und wieder hinlegen. Die Idee: Möglichst das Gegenteil von Sitzen machen.
Dann soll Fabienne die Körperteile bewegen, die bei der Arbeit am Computer zu kurz kommen. «Meist bleibt der Körper still und die Schultern und Arme bewegen sich. Jetzt sind die Hände am Boden still und die Schultern und der Körper bewegen sich», erklärt Dollé den Gedanken hinter der Übung auf Händen und Knien.
Wer die Intensität erhöhen will, geht mit den Knien in die Luft.
Viel sitzen führt oft auch zu verspannten Muskeln im Bereich der Halswirbelsäule. Am Zentrum für Sportmedizin an der Universitätsklinik Balgrist sieht man das Problem häufig und empfiehlt Betroffenen zwei einfache Übungen: Wandliegestütze und Ein- und Ausdrehen der Oberarme.
Das Problem bei der Computerarbeit zu Hause ist, dass man häufig den Kopf nach vorne schiebt und damit die Halswirbelsäule in einer Überstreckung ist. «Das ist eine sehr grosse Belastung für die Muskulatur, aber auch für die Bandscheiben», erklärt Sportmedizinerin Nora Wieloch und empfiehlt, immer wieder Pausen einzulegen, um sich zu bewegen.
Alle zwanzig Minuten empfiehlt die Sportmedizinerin. Wer acht Stunden am Tag sitzt, sollte sich mindestens eine Stunde bewegen, portioniert über den Tag, drinnen oder draussen: «Am Morgen einmal ums Haus oder zu Fuss oder mit dem Velo zum Einkaufen.» Kleine Dinge, die einen Unterschied machen.
«Hauptsache bewegen» ist auch das Motto in Fabienne Muheims Homeoffice. Zum Beispiel mit dem Hula-Hoop-Ring, den sie sich vor ein paar Wochen gekauft hat. Dave Dollé gibt seinen Segen dazu: «Und wenn es nur 30 Sekunden oder eine Minute dauert. Es unterbricht den Trott!»
An Inspirationen und praktischen Tipps fehlt es also nicht. Jetzt braucht es nur noch eines: Ein klares Ziel, um langfristig dranzubleiben. Fabienne Muheim braucht keine Bedenkfrist: «Dass die Rückenschmerzen wieder verschwinden, ich mich etwas gestärkt fühle und abends beim Zubettgehen das Gefühl habe, etwas getan zu haben.»