Man trifft sie derzeit in kleineren und grösseren Gruppen in Zügen und auf Wanderwegen: rüstige Rentner, die es in die Berge zieht. Ist 70 also das neue 60?
Zwar ist die durchschnittliche Lebenserwartung von 1948 bis heute von 66 auf 83 Jahre gestiegen. Diese 17 Jahre alleine sagen aber noch nichts darüber aus, wie gesund wir diese zusätzliche Lebenszeit verbringen.
Ein gesundes Jahr mehr
Eidgenössische Statistiker interessieren sich für den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Alter erst seit Anfang der 1990er-Jahre. Trotzdem zeigt sich ein Trend: Bis 2012 hat sich das Leben der Schweizerinnen und Schweizer um ein «gesundes» Jahr verlängert. Männer dürfen also nach der Pensionierung noch auf 12,5 fitte Jahre hoffen, Frauen auf 12,9 Jahre. Das wären enorme Zahlen, wenn sie tatsächlich «Gesundheit» bedeuten würden. Sie beruhen aber auf Selbsteinschätzungen.
Viele Ältere fühlen sich gesund, obwohl sie rein diagnostisch betrachtet gar nicht so gesund sind.
«Das Erstaunliche ist, dass sich sehr viele Ältere gesund fühlen, obwohl sie rein diagnostisch betrachtet gar nicht so gesund sind», sagt François Höpflinger, Altersforscher an der Universität Zürich. Das zeigt auch die Gesundheitsbefragung von 2012: Schweizer tendieren dazu, ihren Gesundheitszustand zu überschätzen. 73 Prozent der 65- bis 74-Jährigen finden sich selbst sehr gesund – dabei hat fast die Hälfte von ihnen ein dauerhaftes Gesundheitsproblem.
Befragungen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums zeigen: Bereits elf Prozent der 50- bis 54-Jährigen haben zwei oder mehr chronische Krankheiten. Ab 75 Jahren sind es dann mindestens drei. Wir werden heute also viel älter als früher und fühlen uns auch lange fit – mit mindestens zwei chronischen Krankheiten, mit denen wir dank der Medizin gut leben.
Optisch früher gealtert
Tatsächlich waren die 65-Jährigen im Jahr 1948, als die AHV zum ersten Mal ausgezahlt wurde, nicht viel kränker als die Gleichaltrigen heute – wenn sie dieses Alter überhaupt erreichten. Infektionskrankheiten waren noch oft verheerend und endeten tödlich. Antibiotika gab es auch damals schon, der breite Einsatz in der Bevölkerung erfolgte aber erst ab den 1950er-Jahren. Chronische Krankheiten wurden in den 1940-Jahren häufig gar nicht erst erkannt, geschweige denn behandelt. Und ein Herzinfarkt oder Schlaganfall war in den meisten Fällen ein Todesurteil.
Kränker waren die Senioren, die es trotz dieser Hürden in ein höheres Alter schafften, zwischen 1948 bis 1965 also nicht – wohl aber sahen sie älter aus. Sonnenschutz war unüblich, Zahnhygiene noch nicht etabliert. Mangelernährung legte den Grundstein für osteoporotisch brüchige Knochen. Körperliche Arbeit verschliss die Menschen schneller, Wohnen und Arbeiten in kalten, dunklen Räumen bei schlechter Luft öffnete Lungenkrankheiten, Arthrose und Problemen mit dem Bewegungsapparat Tür und Tor.
Die moderne Medizin beschert ein gutes Leben
Kein Wunder also hielten sich die Eltern der heutigen Rentner schlechter. Wer in den 1940er-Jahren geboren wurde, profitiert bis heute vom Wirtschaftsboom der 1950er- und 60er-Jahre – eben weil sich die Ernährungs-, Wohn- und Arbeitssituation sprunghaft verbesserte. Auch die Medizin machte Fortschritte, und erstmals richtete sich der Fokus auch auf Prävention.
Die Medizin kann Vieles kompensieren.
Die Folge: Jahrzehnt um Jahrzehnt nahmen die Lebenserwartung und das Wohlbefinden auch im höheren Alter zu. Wenn heute der Zahn der Zeit an den Gelenken nagt, gibt es ein Teil aus dem medizinischen Ersatzteillager: Knie- oder Hüftgelenksprothesen erhalten die Mobilität, und mehr Bewegung ist ein Jungbrunnen für Körper und Geist. «Wir haben heute Eingriffe wie Augenoperationen, die sehr erfolgreich sind. Die Medizin kann Vieles kompensieren – was früher gar nicht möglich war», sagt François Höpflinger.
Nur: Langsam dreht sich der Spiess um. Verhalf dazumal der zunehmende Wohlstand zu einem längeren Leben, machen uns heute mit seine Begleiter wie Übergewicht und Bewegungsmangel wieder einen Strich durch die Rechnung. Heisst: Die Medizin gibt uns heute das Gefühl eines längeren, fitteren Lebens als noch vor 60 Jahren. Viel gesünder sind wir aber insgesamt nicht unbedingt.
Tipps für ein gesundes Altern:
- Körperlich aktiv bleiben: Leichter fällt es in Gruppen, die es zahlreich – auch für Senioren – gibt, zum Beispiel über die Pro Senectute. Für einen Anfang ist es nie zu spät, auch bislang eher bewegungsfaule Senioren profitieren von einem Sportprogramm nachweislich. Je vielseitiger die Bewegung, desto besser: also nicht nur laufen, sondern auch Kraft, Koordination und Gleichgewicht trainieren.
- Fit im Hirn bleiben: Je mehr Input das Gehirn bekommt, desto besser bleibt es auch in Schuss. Studien haben gezeigt, dass Senioren, die ihre Enkel regelmässig hüten, geistig agiler bleiben – genau aus diesem Grund. Gutes Sehen und Hören bilden dafür die Grundlage: Wenn das Gehirn wegen einer schlechten Hör- und Sehkraft weniger Input bekommt, baut es selbst auch ab. Deshalb ist eine regelmässige Kontrolle wichtig.
- Soziale Kontakte pflegen: Ein gutes, aktives Sozialleben schützt vor Depression, hält aktiv und ist allgemein gut für die Stimmung – und je positiver die Einstellung, desto positiver auch die Wahrnehmung der eigenen Gesundheit.