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Forschung zu Testosteron Testosteron – der Stoff, aus dem die Männer sind

Kein anderes Hormon steht für Stärke, Aggression und Männlichkeit wie das Testosteron. Alles nur Klischee?

Es gibt viele Mythen über das Hormon Testosteron und entsprechend über den testosterongesteuerten Mann. Die neueste Forschung räumt mit vielen solchen Klischees auf. Dabei spielt das Hormon je nach Lebensphase bei den Männern eine ganz andere Rolle. Und bei unseren Verwandten, den Affen, ist es relevant bei der Frage Macho oder Softie.

Schau mir in die Augen

Zurück zum Anfang: Schon im Fruchtwasser kann Testosteron gemessen werden. Das Zusammenspiel von Hormonen und die Produktion von Testosteron beeinflussen schon früh in der Schwangerschaft, zum welchem Geschlecht sich ein Embryo entwickelt.

Doch was löst der Testosteronspiegel noch vor der Geburt in uns aus? Der Psychologe Simon Baron-Cohen nimmt an, dass das Hormon die männliche und weibliche Gehirnhälfte unterschiedlich beeinflusst.

Er zeigte Kleinkindern verschiedene Bilder; Gesichter und abstrakte Formen. Das überraschende Ergebnis: «Je höher das Testosteron vor der Geburt war, umso weniger Augenkontakt suchte das einjährige Kind.»

Mit zwei Jahren hat sich das Bild nochmals verstärkt: Mädchen suchen mehr Blickkontakt und können im Durchschnitt deutlich besser sprechen als Jungs. «Kinder mit einem höheren Testosteronspiegel vor der Geburt haben einen kleineren Wortschatz», so Simon Baron-Cohens Fazit.

Bedeutet viel Testosteron Nachteile? Nicht nur: Baron-Cohens Forschung zeigt auch, dass Jungs im Gegenzug mehr Abstraktionsvermögen besitzen. Doch im Endeffekt sind unsere Persönlichkeit und Fähigkeiten nicht alleine durch das Testosteron bestimmt. Schliesslich gibt es auch viele redselige Jungs und viele Analytikerinnen.

Ein grosszügiges Image

Doch wie steht es um die Annahme, dass Testosteron die Aggressivität fördert? Der Zusammenhang wird in Studien nur indirekt belegt. Gefangene mit schlimmeren Gewaltverbrechen haben zum Beispiel einen höheren Testosteronspiegel.

Doch das Hormon beeinflusse den Mann auch auf unerwartete Weise, so Neurowissenschaftler Jean-Claude Dreher vom nationalen Forschungszentrum in Lyon: «In einer Studie konnten wir zeigen, dass Testosteron auch das soziale Verhalten verbessert.»

In der Studie gab Dreher einer Gruppe eine Testosteron-Injektion, einer zweiten eine Placebo-Injektion. Der Test: Das Ultimatum-Spiel. Ein Spieler bekommt eine Geldsumme und darf selbst entscheiden, wie viel davon er mit einer zweiten Person teilen möchte. Findet diese das Angebot aber unfair und lehnt es ab, verlieren beide das Geld. Das Resultat: Es gibt keinen Unterschied zwischen Placebo- und Testosteron-Gruppe.

Kann der zweite Spieler sich aber beim ersten revanchieren – ihn also wieder mit Geld belohnen für seine Grosszügigkeit oder bestrafen für den Geiz – dann zeigt der Testosteron-Shot seine Wirkung: «Die Gruppe, die Testosteron bekommt, bestraft härter, wenn sie eine unfaire Geldmenge bekommt. Die Testosteron-Gruppe reagiert aber auch grosszügiger auf grosszügigere Angebote.»

Die Absicht dahinter: den sozialen Status verbessern. Das Verhalten wird übrigens nochmals verstärkt, wenn während des Experiments eine Frau zuschaut.

Einflussfaktor Leben

Im Lauf des Lebens spielt Testosteron auch mit bei Bartwuchs, Muskeln und Stimmungslage. Während der Pubertät steigt das Testosteronlevel drastisch.

Doch auch hier gibt es Unterschiede. Tatsächlich schwankt das Testosteronlevel schon innerhalb eines Tages. Am Abend hat der Mann noch die Hälfte von seinem morgendlichen Testosteron. Auch mit den Jahreszeiten ändert sich die Menge. Viel im Herbst und – entgegen der Erwartung – weniger im Frühling.

Doch das Testosteron ändert sich auch mit den Lebensumständen, zum Beispiel bei Vätern: «Wir haben beobachtet, dass Väter, die mit ihren Kindern spielen und dabei einen stärkeren Testosteronabfall zeigen, auch feinfühliger mit dem Kind gespielt haben», so Jean-Claude Dreher. Auch wer in einer festen Partnerschaft ist, hat nicht mehr den gleich hohen Testosteronspiegel wie zuvor.

Mythos Männer-Wechseljahre

Mit dem Alter sorgen sich auch viele Männer um ihren Testosteronspiegel. Einige haben gar Angst vor den Männer-Wechseljahren, der Andropause. «Es gibt keine Wechseljahre beim Mann», entgegnet Endokrinologe Michael Zitzmann.

«Ein gesunder 80-Jähriger hat gleich viel Testosteron wie ein junger Mann.» Das Alter hat also keinen Einfluss auf das Hormon – anders sieht es bei Übergewicht aus. Dabei wandelt das tiefer gelegene, das sogenannte viszerale Fett, Testosteron in Östrogen um. Weniger Testosteron wiederum führt zu weniger Muskelgewebe.

Das Matriarchat und aggressive Primaten

Und was hat das Ganze mit den Affen zu tun? Sie zeigen den unsteten Status vom testosterongeladenen Männchen. Bei den Primaten scheint die Verbindung von Testosteron und Aggression direkter, zum Beispiel bei Schimpansen: Je aggressiver die Männchen, desto mehr Testosteron ist im Spiel. Das ist vor allem für die Schimpansen mit höherem Rang wichtig.

Ganz anders sieht es bei den Bonobos aus. Hier herrscht das Matriarchat; die Weibchen sind an der Macht. Und wer den Weibchen nahekommen will, punktet nicht mit aggressivem Verhalten, sondern mit Nähe, etwa bei der Fellpflege.

Je weniger Testosteron, desto höher der Rang der Bonobo-Männchen. Die Rolle des Testosterons kann sich also auch mit der ‹Gesellschaftsform› ändern.

Fazit: Testosteron sorgt in jungen Jahren wohl für weniger Blickkontakt, später für grosszügige Momente und sein Feind ist nicht das Alter, sondern das Fett. Doch am Ende beeinflusst Testosteron nicht nur das Leben, sondern das Leben auch das Testosteron.

Puls, 14.06.2021, 21:05 Uhr

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