Über 600'000 Tiere wurden 2017 in der Schweiz zu Versuchen verwendet. Zwölf Millionen waren es EU-weit und weltweit starben über 100 Millionen Tiere. Alternative Methoden müssten weiter gefördert werden, sagt der Forscher Winfried Neuhaus.
SRF News: Warum geht die Zahl der Tierversuche trotz neuer Methoden weltweit nicht zurück?
Winfried Neuhaus: Weil es in der Grundlagenwissenschaft immer mehr Tierversuche gibt, um neue Daten zu generieren. Mit den heutigen Technologien sind sehr spannende Tiermodelle möglich. Der Anstieg ist wohl auch damit zu erklären, dass wir die Grundlagenwissenschaft nicht so gut erreichen.
Geht es bei der Grundlagenforschung schlicht nicht ohne Tiere?
Davon gehen sehr viele Forscher aus. Tiere sind deutlich komplexer als einfache Zellkultursysteme. Man müsste aber viel mehr über Ersatzmethoden nachdenken, mit welchen man einzelne Aspekte durchaus beleuchten kann. Der Fokus sollte vor allem auf Humanzellkulturen und auf «in silico» – also in mathematischen und computerbasierten Berechnungsmodellen – liegen.
Warum sind die Grundlagenforscher so schwer zu erreichen?
Der Grundlagenforscher muss hochwertige Wissenschaft machen, um in seinem Bereich gut zu überleben. Denn diese kann man in hochwertigen Journalen publizieren, welche zudem häufig Tierversuche verlangen. Der Grundlagenforscher wird teilweise auch durch das System zu Tierversuchen genötigt, weil vielen die vereinfachten Zellkulturmodelle nicht genügen.
Der Grundlagenforscher wird teilweise auch durch das System zu Tierversuchen genötigt.
Wie kann man das ändern?
Indem man viele Daten sammelt und den Forschern zeigt, dass sehr gute Wissenschaft nicht nur mit dem Tier gemacht werden kann. Es gibt viele hochrangige Publikationen, die sich nur auf Zellkulturen oder mathematische Berechnungen stützen. Man könnte etwa eine gute Kombination schaffen, um mit Vorarbeiten in der Zellkultur einiges an Tierversuchen zumindest zu reduzieren.
Mit guter Vorarbeit in Zellkulturen könnten Tierversuche zumindest reduzieren werden.
Warum haben Tierversuche einen so hohen Stellenwert, obwohl sie bisher noch nie gegenüber dem Menschen validiert wurden?
Mit Tierversuchen können sehr komplexe Systeme nachgestellt werden. Gerade beim Immunsystem sind alternativen Methoden sehr schwierig. Ein zusätzliches Problem sind die Spezies-Unterschiede. Viele Krankheitsmodelle zeigen, dass die Maus einfach nicht der Mensch ist. Es nützt also im Endeffekt nichts, wenn man eine Maus beim Schlaganfall therapieren kann, aber die Mechanismen im Menschen anders sind. Da könnte man schon vorher Tests machen, um die Spezies-Unterschiede abzuklären.
Ganz ohne Tierversuche geht es also nicht?
Richtig. Momentan wird es ganz ohne Tierversuche nicht gehen. Weil es gesetzliche Vorgaben gibt und weil Modelle mit Zellkulturen und Ersatzmethoden noch nicht in der gewünschten Komplexität nachgestellt werden können. In den nächsten Jahren wird es sehr viele Versuche zu komplexen Organen und Organ-Interaktionssystemen geben. Aber so weit sind wir noch nicht, dass wir den Tierversuch komplett ersetzen können.
Noch können wir den Tierversuch nicht komplett ersetzen.
Wenn ein Tierversuch, dann wie?
Sehr viel besser geplant. Vorher überlegen, was man sehen und machen will und abklären, ob man nicht einzelne Aspekte bereits mit anderem Methoden abdecken kann. Auf diese Weise kann man deutlich besser definierte Tierversuche durchführen.
Das Interview führte Simon Leu.