US-Medizinern ist es nach eigenen Angaben erstmals gelungen, ein Kind praktisch zu heilen, das sich bei der Geburt mit dem HIV-Erreger angesteckt hatte.
Zwar sei bei dem Kind das HIV-Virus nicht verschwunden, erklärten die Virologen bei einem Fachkongress in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. Aber die Menge der Viren sei derart gering, dass das Immunsystem des Kindes sie künftig ohne weitere Behandlung kontrollieren könne.
Die infizierte Mutter hatte den Erreger bei der Geburt auf ihr Kind übertragen. Weniger als 30 Stunden danach hatten die Ärzte den Säugling mit einer antiretroviralen Therapie behandelt.
Deborah Persaud von der Universitätsklinik in Baltimore sagte, offenbar habe die rasche Behandlung dazu geführt, dass sich bei dem Kleinkind keine schwer zu behandelnden verborgenen Viren-Reservoirs bilden konnten.
Optimismus: Ja – Heilung: ?
«Sollten sich die Resultate bestätigen, ist die Publikation dieses Falles eine wichtige Entdeckung», sagt Harry Witzthum zu SRF News Online. Witzthum ist Pressesprecher der Aids-Hilfe Schweiz. Er gibt zu bedenken: Es handle sich hierbei um einen ersten Fall, der bisher nicht wiederholt werden konnte.
«Obwohl die heutigen HIV-Therapien die Virusvermehrung hemmen, bewirken die Therapien noch keine Ausmerzung von HIV im Blut», betont er weiter. Das habe damit zu tun, dass die Viren in verschiedenen Reservoirs wie Blutzellen, Lymphsystem, Knochenmark oder Gehirn eindringen und sich dort in einem latenten Zustand versteckten.
«Wird die Therapie abgesetzt, werden diese Viren im Reservoir wieder aktiv. Sie beginnen sich von Neuem, innerhalb von wenigen Wochen, zu vermehren und andere Zellen zu befallen», sagt Witzthum weiter.
Es werden momentan verschiedene Ansätze in der Forschung verfolgt. Ein wichtiger Schritt würde darin bestehen, die Reservoirbildung und die Vermehrung der HIV-Viren zu verhindern. «Das ist Zukunftsmusik, mit einem Durchbruch ist noch über Jahre hinweg nicht zu denken», betont er.
Kein Sonderfall – frühe Behandlung notwendig
Professor Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen sieht dies nicht ganz so kritisch. Aber auch er relativiert die Sensationsmeldung aus den USA. «Bei dieser ‹Heilung› handelt es sich nicht um ein für uns neues Phänomen», sagt er im SRF-News-Online-Interview. Neu sei, dass es ein Kleinkind treffe. Es gäbe aber bereits Studien die belegen würden, dass Menschen mit HIV bei einer frühen Behandlung gute Chancen auf Heilung hätten.
Es sei damit eine Frage des Zeitpunktes. «Je früher die Therapie einsetzt, desto grösser ist die Chance das Virus ganz los zu werden», betont der Chefarzt der Infektiologie. Der Grund liege daran, dass latent infizierte Zellen eine Halbwertszeit besässen und zu diesem Zeitpunkt noch relativ wenige Zellen mit HIV angesteckt seien. Bei den meisten Patienten wird das Virus jedoch sehr spät entdeckt.
HIV-Therapie als Kondomersatz
In der Schweiz nehmen derzeit HIV-Infektionen wieder zu. Im Jahr 2012 sind 620 neue Fälle gemeldet worden. Das sind 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Eine Rolle könne die zunehmende Sorglosigkeit angesichts des medizinischen Fortschritts spielen. Diese könnte durch die positive Meldung aus den USA nun verstärkt werden.
«Wir beobachten tatsächlich einen Trend zu einer zunehmenden Sorglosigkeit im Umgang mit HIV, weil die HIV-Infektion unter anderem als ‹therapierbar› oder gar ‹heilbar› gilt», sagt auch Witzthum von der Aids-Hilfe.
Er verweist auf den Jugendgesundheitsbericht des Kantons Basel-Stadt 2012. In diesem habe man festgestellt, dass 30 Prozent der befragten Jugendlichen fälschlicherweise davon ausgingen, dass es gegen HIV einen Impfschutz gäbe.