Seit Anfang Jahr gibt es mit der Gesetzesrevision «Weiterentwicklung der IV» verbesserte Bedingungen für Menschen, die wegen Krankheit oder nach einem Unfall zu Gutachtern geschickt werden. Dort soll ihre Arbeitsfähigkeit abgeklärt werden. Wichtige Erneuerung: Die Gespräche beim Gutachter werden nun aufgenommen. Damit sollen Patienten gegen falsche Gutachten vorgehen können.
Für viele Betroffene kommt diese Verbesserung zu spät. «Kassensturz» deckte 2018 auf, wie ein Psychiater der Gutachterfirma PMEDA ein mangelhaftes ärztliches Zeugnis erstellte. Der Patient, ein ehemaliger Swisscom-Manager, nahm das nur 36 Minuten dauernde Anamnese-Gespräch heimlich mit seinem Handy auf und konnte damit beweisen, dass das anschliessende Gutachten fehlerhaft war: Unter anderem erwähnte der Gutachter im Bericht Tests, die er nicht durchgeführt hatte. Der Gutachter schrieb den Patienten zu 100 Prozent arbeitsfähig. Dafür verrechnete er 2800 Franken.
Bundesgericht prüft nicht, wie Gutachten zustande kam
Aufgrund dieses mangelhaften Zeugnisses stoppte zuerst die Taggeldversicherung die Auszahlung, und die IV verweigerte später eine Rente. Denn sie übernahm die «Fakten» des mangelhaften Gutachtens. Das Bundesgericht urteilte formell und stützte den IV-Entscheid. Dabei klärte es nicht ab, wie das Gutachten zustande kam.
Später änderten Taggeldversicherung und IV ihre Meinung. IV-Ärzte stellten fest, dass das Gutachten krasse Mängel aufwies. Nur die Swisscom-Pensionskasse Complan bleibt bis heute hart. Sie verweigert weiterhin eine Invalidenrente. Auf Anfrage von «Kassensturz» schreibt sie: «Ein Anspruch von Herrn M. auf Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge ist gegenüber unserer Vorsorgeeinrichtung im Jahr 2019 rechtskräftig und höchstrichterlich verneint worden.»
Bei einem positiven Entscheid hätte der Betroffene über die Jahre Anspruch auf Hunderttausende von Franken gehabt. Nun muss der ehemalige Swisscom-Manager von monatlich 923 Franken IV leben, die Schulden häufen sich an.
Mittlerweile verjährt
Dank der IV-Revision sollten Firmen wie PMEDA seit Anfang Jahr eigentlich besser kontrolliert werden können, sagt Alex Fischer von Procap, dem Verband von Menschen mit Behinderungen: «Aber leider hat es das Bundesamt für Sozialversicherungen verpasst, die schwarzen Schafe aus dem Markt zu eliminieren.» Einige hilfreiche Neuerungen gibt es jedoch: «Neu werden die Gespräche aufgezeichnet und man weiss, wer wie viele Gutachten macht und mit welchem Ergebnis. Ausserdem gibt es eine externe Kommission, an die man sich wenden kann.»
In diesem Fall nützt das allerdings wenig. Der Psychiater kommt trotz seines fehlerhaften Gutachtens ungeschoren davon, denn die mögliche Straftat ist mittlerweile verjährt. Die Gutachter-Firma PMEDA reagierte nicht auf eine Anfrage. Als Kassensturz 2018 über den Fall berichtete, schrieb sie: «Zu materiellem Inhalt oder dem Ablauf der Begutachtung äussern wir uns mit Blick auf die laufenden Strafuntersuchungen nicht». Das Gutachten sei sorgfältig erstellt worden: «Unsere gutachterlichen Feststellungen beruhen auf einer gründlichen Exploration und entsprechen den Vorgaben der Fachgesellschaft für Psychiatrie.» Es gilt die Unschuldsvermutung.