Ein Kind kommt mit einem deformierten Ohr zur Welt. Die Optik ist nur die eine Seite, auch die Funktion ist so nicht vollständig gewährleistet. Früher hiess das: Das Kleinkind musste Operationen über sich ergehen lassen, bei denen ihm mehrere Rippen entnommen wurden, aus denen dann die Ohrmuscheln geformt wurden. So perfekt wie normale Ohren sahen sie nie aus.
Die schmerzhafte Prozedur ist ab kommendem Jahr möglicherweise obsolet. Denn dann errechnet ein Computerprogramm Form und Grösse des perfekten Ohrs. In der ETH wurde ein Verfahren entwickelt, um Kindern innerhalb von 20 Minuten Schicht um Schicht Ohrmuscheln aus ihrem Zellmaterial zu drucken. Dieses wird unter die Haut gepflanzt, die sich dann anpasst.
Forschung an echten Dubletten
Auf 3D-Druckern ruhen grosse Hoffnungen in der Medizin. Patienten bekommen bereits Kniegelenke, die für sie massgeschneidert sind. In Pionier-Operationen pflanzten Chirurgen ganze individuell produzierte Schädelteile, Kieferknochen oder sogar Wirbel ein – frisch aus dem Drucker. Und es ist gut möglich, dass Tüftler in den kommenden Jahren Durchbrüche erzielen, was den 3D-Druck ganzer Organe anbelangt – aus körpereigenen Zellen kreiert und damit mit minimiertem Abstossungsrisiko.
Am liebsten würden Forscher Ersatzteile ganz aus menschlichen Zellen produzieren – echte Dubletten also. Soweit ist der 3D-Druck aber in den meisten Fällen noch nicht. Zwar gab es bereits Versuche mit Organen wie Niere, Herz oder Leber. Dabei stossen Forscher jedoch noch an Grenzen: Organe bestehen aus verschiedenen Zellen, übernehmen mehrere Aufgaben.
Funktionsfähige Mini-Nieren
Diese künstlich zu reproduzieren ist schwer. 2013 ist es chinesischen Wissenschaftler zwar gelungen, Mini-Nieren auszudrucken. Diese waren nach vier Monaten jedoch nicht mehr lebensfähig. Auch eine zwei Jahre später vorgestellte neue 3D-Drucktechnik für menschliches Nierengewebe ist vom Einsatz am Menschen noch weit entfernt. Die Druckerdüsen müssen extrem fein sein, aber durchlässig genug, um die Zellen nicht zu beschädigen.
Nicht nur der komplexe Aufbau von Organen ist ein Problem, diffizil ist auch deren innere Struktur: Weil die Blutversorgung im Inneren des Organs gewährleistet sein muss, dürfen die Abstände zwischen den Zellen, aus denen später Blutgefässe entstehen sollen, nicht zu gross und nicht zu klein sein – ein komplexes Unterfangen.
Schicht um Schicht zum Ersatzteil
Weiter ist die Wissenschaft, was Knochen und Gelenke anbelangt – also Ersatzteile, die nicht durchblutet werden müssen. Meist wird hier auf Stoffe zurückgegriffen, die sich in der Medizinaltechnik bereits bewährt haben wie Titan, Keramik oder Kunststoff. Oder es werden Stützgerüste aus Spezialkunststoffen ausgedruckt, die dann mit menschlichen Zellen besiedelt werden.
Egal, um welches menschliche Ersatzteil es sich handelt, die Herstellungsweise ist immer ähnlich. Sie entstehen in hundertstel Millimeter dicken Schichten, errechnet aus einem dreidimensionalen Bild, beispielsweise einer Aufnahme aus dem Computertomographen. Aus der Druckerpatrone kommen je nach Auftrag Zellen, Enzyme, Wachstumsfaktoren, Gelatine – je nach Aufgabe, die erfüllt werden soll.
Wo 3D in der Medizin bereits im Einsatz ist:
Implantate und Zahnkronen to go: Sie gehen zum Zahnarzt, dort werden Sie vermessen, die optimale Krone errechnet, direkt an den Drucker geschickt, der im Nebenraum in 15 Minuten die Krone produziert, die der Arzt dann direkt einsetzt. Prinzipiell ist das heute schon möglich. Moderne Drucker können pro Tag bis zu 400 individuelle Zahnkronen herstellen. Die Kosten liegen dabei bei einem Zehntel des bisherigen Preises. Dass sich das Verfahren bis heute nicht durchgesetzt hat, liegt am hohen Anschaffungspreis der Gerätschaften für den Zahnarzt – und daran, dass die Programme heute noch nicht ganz einfach zu bedienen sind.
Knie und Gelenke aus dem 3D-Drucker sind heute bereits in Anwendung. Individuelle Knieprothesen haben sich bewährt: Sie sollen Patienten ein angenehmeres Tragegefühl bescheren. Gleiches gilt für Knorpel: Auch sie sind im Drucker bereits gut herstellbar.
Nasen, die sogar mitwachsen, wurden bereits bei Patienten eingesetzt. Die zweijährige Tessa Evans beispielsweise hat eine solche neue Nase erhalten. Die Kunst-Nase ist ein Polymer-Gerüst mit eigenen Knorpelzellen. Das Gerüst löst sich im Laufe der Zeit auf, zurück bleiben natürliche Zellen – eine richtige Nase, die sogar mitwächst.
Luftröhren können dank ihrer Form gut im 3D-Drucker hergestellt werden. Der kleine Kaiba kann dank einer abbaubaren Luftröhre aus dem 3D-Drucker atmen. Sie besteht aus Plastikfasern und eigenen Stammzellen. Auch weitere Babys konnten so bereits gerettet werden. Die Implantate lösen sich im Laufe der Zeit auf.
Ohren aus dem Drucker sollen ab kommendem Jahr zur Verfügung stehen. Entwickelt von der ETH werden Knorpelzellen und eine gelartige Trägersubstanz nach und nach vom 3D-Drucker aufgetragen. 15 bis 20 Minuten dauert der Druck. Die Trägersubstanz, das «Gerüst», zersetzt sich im Laufe der Zeit und wird durch Knochenmatrix ersetzt.
Gesichter mittels Computerprogramm zu rekonstruieren hat bereits funktioniert. Britische Ärzte des Morriston Hospitals haben das entstellte Gesicht eines jungen Mannes mit Hilfe eines 3D-Druckers weitgehend wiederhergestellt. Die Ärzte verwendeten einen CT-Scan seines Schädels, um daraus ein Modell zu drucken. Mit diesen exakten Prothesen konnten die Ärzte dann die gebrochenen Knochen im Gesicht wieder an ihren Platz bringen und die Symmetrie des Gesichts weitgehend wiederherstellen. Mit dem neuen Verfahren konnte das Gesicht schneller und präziser rekonstruiert werden als bisher möglich.
Schädelknochen lassen sich hervorragend rekonstruieren. Dieser chinesische Mann erhielt ein Teilimplantat, massgeschneidert aus dem 3D-Drucker.
Künstliche Kieferknochen haben bereits mehrere Patienten erhalten. Noch sind sie aus Titanstaub. Mediziner träumen von Knochenreplikationen aus körpereigenen Zellen, sogenannte biologische Implantate.
Minisken haben sich im Tierversuch an Schafen bewährt, deren Minisken den menschlichen sehr ähneln. Mediziner der New Yorker Columbia University druckten implantierbare Gerüste in Miniskusform aus und integrierten verschiedene Wachstumsfaktoren in das Gerüst. Drei Monate später waren tatsächlich neue Minisken herangewachsen. Das Gerüstmaterial löste sich nach und nach auf, zurück blieben natürliche Knorpel.