Die weltweiten Proteste gegen Rassismus machen auch vor der Filmindustrie nicht Halt: Streamingdienste wie HBO Max kippen Filme aus dem Programm, wie etwa den Südstaaten-Klassiker «Gone With The Wind».
Das Problem ist die Darstellung der Sklaven in dem Film. Diese beschönige die Zustände und beeinflusse unser Bild von der Zeit, sagt Medienhistorikerin Monika Dommann.
SRF News: Was stört so viele am Film «Vom Winde verweht»?
Monika Dommann: Es gibt zwei grundsätzliche Probleme. Das erste ist, dass mit diesem Film von Beginn an Geschichtspolitik gemacht wurde. Die USA, aber auch Grossbritannien, haben sich bisher nicht wirklich eingehend mit der Geschichte der Sklaverei beschäftigt. Denn nicht nur Geschichtsbücher und Museen, sondern auch solche Filme prägen unsere Vorstellungen dieser Zeit.
Was ist das andere Problem?
Das andere ist ein ökonomisches. Mit diesem Film hat Hollywood richtig viel Geld verdient. Es ist das erfolgreichste Werk der Filmgeschichte. Das Störende daran ist, dass der Film immer noch unter Copyright steht. In den 1990ern wurde es verlängert bis 2034. Also 95 Jahre nach Erscheinen dieses Films ist er geschützt, und alle – die Filmverleiher, die Kinos, aber auch die Streamingdienste – verdienen mit an dem geschönten Bild der Sklaverei.
Der Film sollte kontextualisiert und mit den Hintergrundinformationen versehen werden.
Was ist daran so problematisch?
Das Problematische ist, dass das sehr wenig zu tun hat mit der Realität der Sklaverei. Und es ist kein Zufall, dass John Ridley, der Drehbuchschreiber von «12 Years a Slave», gegenüber der «New York Times» darauf verweist, denn sein Film zeigt ein ganz anderes Bild der Sklaverei: eines von Gewalt, Vergewaltigung und schwierigen Beziehungen zwischen Weissen und Schwarzen, die traumatisch sind, noch über viele Generationen hinweg.
Hätte man den Film schon früher in den Giftschrank sperren müssen?
Mit einem Giftschrank löst man das Problem nicht. Man muss diesen Film der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, und zwar als historisches Dokument. Es geht nicht an, dass Hollywood, die ganze Kette, die damit verbunden ist, weiter Geld verdient damit. Er sollte zum Beispiel in der Library of Congress gestreamt, kontextualisiert und mit den Hintergrundinformationen versehen werden.
Wie sollen die Streamingdienste mit dieser Problematik umgehen?
Sie sollen nun vor allem – und das haben sie sehr lange vernachlässigt – anderen Stimmen Raum geben. «African American Voices», kritische Stimmen, die es schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt. Seit Beginn der Kinogeschichte gibt es schwarze Regisseure und später auch Regisseurinnen, die genau auf diese Probleme, auf Gewalt, auf Lynching und auf die Folgen der Sklaverei in ihren Filmen hingewiesen haben. Es geht darum, dass dieses geschönte «White Washing» mit anderen Perspektiven ergänzt wird.
Den Film aus dem Programm kippen, das allein reicht also nicht?
Nein. Man muss erklären, wann er entstanden ist, welche Bilder er vermittelt und was die reale Geschichte der Sklaverei ist. Das ist dringend nötig. Das kennt man auch von anderen problematischen Dokumenten, wie zum Beispiel Hitlers «Mein Kampf» oder die «Protokolle der Weisen von Zion».
Dieser Film verschwindet nicht mehr. Er ist da.
Es sind Kampfschriften oder verschwörungstheoretische Schriften, die auch in kritischen Editionen herausgegeben wurden. Das ist wichtig, denn dieser Film verschwindet nicht mehr. Er ist da. Wichtig ist nun, dass wir ihn neu ansehen, die Informationen der Historiker zur Kenntnis nehmen und darüber nachdenken, was wir oder unsere Vorfahren vielleicht damit zu tun haben.
Das Gespräch führte Claudia Weber.