Immer wieder sorgt die Tigermücke für Schlagzeilen wie «Kleine Mücken, grosse Gefahr». Denn die aus Asien stammende Mücke mit dem gestreiften Körper breitet sich ständig weiter in Europa aus. Auch in der Schweiz.
Die Präsenz der Tigermücke in den Medien und vor allem die Angstgefühle, die diese Mücke auslösen, zeigen wie unsere Gesellschaft tickt. Wir leben in einer stark verunsicherten Gesellschaft. Das sagt der Präsident der Tessiner Gesellschaft für Angststörungen, Michele Mattia. Dass gerade ein Psychiater aus dem Tessin diese Aussage macht, ist kein Zufall. Die Tigermücke gehört im Tessin zum Sommeralltag.
In der Schweiz ungefährlich
Die Tigermücken stechen anders als gewöhnliche Stechmücken auch am Tag und das mehrere Male. Zudem treten sie oft in Schwärmen auf. Sie sind also extrem lästig. Und sie können gefährliche Krankheiten wie das Denguefieber übertragen. Aber nicht in der Schweiz: Denn es gibt hierzulande kaum Menschen mit diesen Krankheiten, welche die Tigermücke weiterverbreiten könnte.
Die Angst bleibt aber gross, sagt Psychiater Michele Mattia. «Im Sommer sind es vor allem Insekten, die Angstgefühle auslösen, so eben auch die Tigermücke. Sie ist ein Insekt, das es hierzulande erst seit 15 Jahren gibt. Es ist grundsätzlich immer so, dass Neues, neue Entwicklungen bei den Menschen und besonders bei denen, die dafür anfällig sind, zu Angstgefühlen, ja gar Beklemmung führen.»
Auch ein Medienproblem
Hinzu komme: Die Medien, die grundsätzlich interessiert sind an neuen Entwicklungen, schürten mit ihren Zuspitzungen oder gar Falschinformationen diese Angstgefühle. Und zwar auch bei Menschen, die nicht grundsätzlich ängstlich sind.
Der Blick ins Internet gibt Mattia recht. Schnell findet man Schlagzeilen wie: «Viren-Alarm: Tigermücke breitet sich aus», «Gefährliche Tigermücke in Zürich gesichtet». Die Schlagzeile «Lästig, aber hierzulande ungefährlich» verkauft sich eben schlecht.
Es erstaunt auch nicht, dass es kaum Schlagzeilen gibt über den vorbildlichen Kampf des Kantons Tessin gegen die Mücken. Dem Südkanton ist es durch grosse Anstrengungen gelungen, die lästige Mückenplage einzudämmen. Die Bevölkerung wird in den Kampf gegen den Blutsauger eingebunden. Der Mensch ist der Mücke also keineswegs schutzlos ausgeliefert.
«Das Unkontrollierbare macht Angst»
Ein weiterer Grund für die starken Angstgefühle, die diese gestreiften Tiere auslösen können, sei die Tatsache, dass wir sie nicht gut sehen, sagt der Tessiner Psychiater.
«Wir können uns nicht vor ihr schützen, weil wir sie zu spät sehen. Sie sind klein und wendig. Und was wir nicht kontrollieren können, macht uns Angst. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir uns gegenüber allem und allen absichern wollen. Gerade auch die Videoüberwachung suggeriert das. Umso mehr verunsichert uns, was wir nicht kontrollieren können.»
Konfrontation als Angstlöser
Diesem Gefühl der Verunsicherung, der Beklemmung, sei einfach zu begegnen: nämlich indem man sich an die Fakten halte. Die seien eindeutig.
«Am besten aber hilft gegen Ängste das natürlichste Medikament der Welt. Sich selbst mit seiner Angst konfrontieren. Das heisst also, in die Natur spazieren gehen und realisieren, dass nichts passiert, selbst wenn eine Tigermücke zusticht.»
Je näher die Menschen der Natur und damit auch den Insekten seien, desto weniger lösten diese Angst und Beklemmung aus. Weil aber immer mehr Menschen in scheinbar sterilen Agglomerationsumgebungen lebten, sei eben der ideale Nährboden gegeben für Verunsicherung oder gar Angstgefühle, so Mattia.