Filme entstehen heute zu einem grossen Teil am Computer. In der sogenannten Post Production lässt der Regisseur Farben anpassen, fehlende Lichtquellen einfügen oder störende Objekte entfernen.
In naher Zukunft wird dank Digitalisierung in der nachträglichen Bearbeitung noch viel mehr möglich sein: Das Gesicht eines Schauspielers am Schnittplatz scharf stellen etwa oder nach dem Dreh die Kameraposition ändern. Das alles ist machbar dank Lichtfeld-Technologie.
Dabei werden Szenen mit unzähligen Kameras gleichzeitig aufgenommen. Wie das funktioniert, konnte man in diesen Tagen in Saarbrücken erleben, wo der erste Lichtfeld-Drehs Europas stattfand.
In einem grossen Studio des Saarländischen Rundfunks sitzt die Cellistin Isabel Gehweiler auf einem Stuhl und spielt nacheinander die verschiedenen Stimmen des gleichen Stücks ein. Einige Meter vor ihr steht ein quadratischer Rahmen.
Darin sind 64 Kameras eingespannt – jeweils acht in einer Reihe. Was die Kameras sehen, zeigt ein Monitor mit 64 bewegten Bildern, die gleich angeordnet sind. Damit alle Aufnahmen auf einen Bildschirm passen, ist jedes Bild etwa so klein wie eine Briefmarke.
Für Chef-Kameramann Matthias Bolliger ist dieses Setting etwas gewöhnungsbedürftig. Der Schweizer ist oft in Deutschland bei klassischen Spielfilmen oder Fernsehproduktionen im Einsatz, wo er jeweils bloss ein bewegtes Bild sieht. Bei diesem speziellen Dreh will er nun Material aufnehmen, um die Möglichkeiten der neuen Aufnahmetechnik auszuloten.
Bolliger ist von den neuen Möglichkeiten fasziniert: «Es geht darum, dass wir im Nachhinein die Schärfentiefe auch über die physische Machbarkeit hinaus verändern können». Plötzlich sind Aufnahmen mit einer Blende 0.05 möglich, in der Realität völlig undenkbar. Mit der Lichtfeld-Technologie kann man weiter über die physischen Grenzen eines Objektives hinausgehen.
Das Spiel mit extremen Schärfentiefen sei aber nur eine von vielen Möglichkeiten des «Bewegtbild 2.0», ergänzt Torsten Herfet, Professor an der Universität des Saarlandes. Er hat mit seinem Team die 150 Megapixel Lichtfeld-Kamera entwickelt und wird die riesigen Datenmengen, die anfallen, nach dem Dreh verarbeiten.
Auch er schwärmt von den neuen Möglichkeiten: «Ich kann sogar mehr als 64 Blickwinkel berechnen, indem ich Blickwinkel von Kameras, die sich irgendwo dazwischen befinden, synthetisch hinzufüge.» So kann ein Regisseur nachträglich am Schnittplatz eine virtuelle Kamerafahrt hinzufügen.
Auch bei Live-Aufnahmen im Fernsehstudio genügt künftig eine einzige Lichtfeldkamera. Damit lassen sich am Computer künstliche Kameras erzeugen, die die Perspektive an einem x-beliebigen Ort im Raum einfangen.
Denkbar sei auch, dass wir uns als Zuschauer in einer Filmszene frei bewegen können, meint Matthias Bolliger. Virtual-Video oder Virtual-Experience sind die Stichwörter. «Das könnte sehr spannend werden. Ein Holodeck zu betreten und dann in ein real vorhandenes Video einzutauchen!»
Betrachtet man die Einrichtung im Studio in Saarbrücken, klingt das alles noch nach sehr ferner Zukunft. Aber diese neue Technologie habe uns in einfacher Form bereits auf den neusten Smartphone-Modellen eingeholt, erklärt Thorsten Herfet.
Die Top-Handys verschiedener Hersteller haben nämlich drei und mehr Kameras eingebaut. «Die Mathematik und die Interpretation, die dahintersteckt, ist sehr ähnlich dem, was wir hier machen, einfach in einem Studio, mit noch mehr Kameras und dementsprechend mehr Daten».
Die gewaltige Datenmenge ist ein Grund, wieso die Aufnahme der Cellistin gerade einmal 90 Sekunden dauert. Der Aufwand für das Kurzvideo ist dennoch riesig: Über 10 Gigabyte Daten fallen an – pro Sekunde. Eine gängige 128-Gigabyte-Speicherkarte wäre also in rund zehn Sekunden voll. Thorsten Herfet hat seine Speicher in Kästen auf Rollen versorgt. Um den Datenfluss zu gewährleisten, sind die Kameras über ein Wirrwarr an bunten Kabeln an kleine Computer angeschlossen, die wiederum über Kabel mit einem weiteren Kasten verbunden sind.
Wer hier das Sagen hat, wird schnell klar: Techniker und Programmierer. Sie werden in den Monaten nach dem Dreh aus dem Datenmaterial den Kurzfilm bauen, also eigentlich Regie führen.
Wie fühlt sich da Matthias Bolliger, wenn nun Nerds eine Aufgabe übernehmen, für die bis anhin der klassische Kameramann und Director of Photography (DOP) zuständig war? «Es braucht jemanden, der sich sowohl in der digitalen Welt der Nachbearbeitung wie auch in der analogen Welt der Aufnahmen auskennt», ist er überzeugt.
Ein neues Berufsbild, der sogenannte Director of Imaginery (DOI), könnte diese Brückenfunktion einnehmen. Wie immer wird die Digitalisierung also zwar herkömmliche Berufe überflüssig machen oder massiv verändern, gleichzeitig aber auch neue Tätigkeitsfelder schaffen.