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Mechanismen des Pharmamarkts Krebsmedikamente – Aus altbekannt und günstig wird teuer

Alte Medikamente liessen sich kostengünstig für neue Behandlungen nutzen. Doch die Mechanismen des Pharmamarkts lassen das nicht zu.

  • Lange erprobte und günstige Medikamente können möglicherweise vielfach auch gegen andere Krankheiten wirkungsvoll sein.
  • Pharmafirmen unterstützen diese Option jedoch nicht mit Forschung, sondern setzen lieber auf teure neue Medikamente.
  • Gelangen altbekannte Medikamente mit offiziell erweitertem Einsatzgebiet auf den Markt, schnellen ihre Preise in die Höhe.

Der Medikamentenmarkt, speziell in der Krebsforschung, ist auf die ständige Entwicklung neuer Produkte zu immer höheren Preisen ausgerichtet. Heute kostet eine Krebstherapie pro Monat und Patient schnell 10‘000 Franken und mehr. Schweizweit schätzt der Versicherer Helsana die Kosten für Krebsmedikamente insgesamt auf etwa 584 Millionen Franken. «Wir laufen im Moment in eine Sackgasse, was die Kosten für neue Krebsmedikamente angeht», warnt Christoph Driessen, Onkologe am Kantonsspital St. Gallen.

Potenzial für Zweitnutzung von Medikamenten

Die explodierenden Gesundheitskosten könnte man eindämmen, denn alte, bereits als sicher geltende Medikamente bergen oft ungenutztes Potenzial, speziell in der Onkologie – wenn es denn möglich wäre, ihren Einsatzbereich einfach so auf die Behandlung weiterer Krankheiten auszudehnen. Doch dafür bedarf es weiterer Forschung. Von Seiten der Pharmaindustrie ist dabei nicht mit Unterstützung zu rechnen, im Gegenteil: «Da bekommt man manchmal sogar Gegenwind, weil man mit dem, was man macht, den Markt für neue Medikamente bedroht. Das ist nicht unbedingt im Sinne derer, die den Markt in Zukunft bearbeiten wollen», erklärt Christoph Driessen. Seine aktuelle Forschung wird denn auch mit öffentlichen Geldern finanziert, etwa durch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK).

Aids-Wirkstoff Nelfinavir hilft auch bei Krebs

Christoph Driessen hat kürzlich am weltweit grössten Hämatologie-Kongress in San Diego aufgezeigt, dass ein altes Aidsmedikament mit dem Wirkstoff Nelfinavir Krebspatienten helfen kann. Es hebt Resistenzen auf, die gegen gängige Behandlungen entstehen. Patienten mit der Knochenmark-Krebsart Multiples Myelom sprachen in Studien mit Nelfinavir wieder auf die vorher wirkungslos gewordenen Standardmittel an.

Der Wirkstoff ist damit nicht nur wirkungsvoller als neu entwickelte Medikamente der Pharmabranche. Nelfinavir, als nicht mehr patentgeschütztes Medikament, ist derzeit auch recht günstig, wie Christoph Driessen erklärt: «Man ist heute wahrscheinlich bei einem Preis von 1000 oder 2000 Dollar für eine Therapie pro Patient und Monat.»

Enormer Preissprung bei Thalidomid

Diesen Preisvorteil könnte aber unser Gesundheitssystem wieder zunichtemachen. Das zeigt ein Beispiel aus der Vergangenheit: Contergan, die in Verruf geratene Beruhigungspille aus den 1960er-Jahren, die zu Missbildungen bei Föten führte, wurde später als Krebsmittel neu entdeckt. Als dessen Wirkstoff Thalidomid jedoch als Krebsmedikament neu zugelassen wurde, schoss der Preis in die Höhe und vervielfachte sich.

Bei einer Neu-Zulassung wird nämlich der Preis eines Medikaments neu verhandelt und orientiert sich an Produkten, die bereits auf dem Markt sind: im Krebsbereich an den derzeit hohen Preisen. Dabei ist es gleich, ob die Wirkstoffe altbekannt und bereits im Einsatz sind oder neu hinzukommen, bestätigt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gegenüber dem Gesundheitsmagazin «Puls».

Damit könnte auch die Nelfinavir-Therapie geschätzte zehnmal teurer werden, wenn sich ein allfälliger neuer Hersteller auf die Preise der vergleichbaren Krebsmedikamente beruft. «Die Logik unseres Preisfindungssystems würde wahrscheinlich im Moment darauf hinauslaufen», räumt Christoph Driessen ein. Und dann könnte es auch sein, dass seine Idee, kostengünstigere Medikamente einzusetzen, zunichte gemacht wird.

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