Das Wichtigste in Kürze
- Medizinisches Personal, insbesondere Ärzte, werden Schätzungen zufolge doppelt so häufig wie die Normalbevölkerung suchtkrank – wegen der hohen Stress- und Arbeitsbelastung.
- Propofol wird häufig von Ärzten und medizinischem Personal missbraucht, weil es schnell wirkt, entspannt, euphorisiert und körperlich nicht süchtig macht.
- Allerdings endet der Missbrauch des Narkosemittels besonders häufig tödlich, weil die Dosierung heikel ist und bereits eine geringe Überdosis fatal wirken kann.
Propofol gelangte zuletzt durch die Überdosis von Michael Jackson unrühmlich in die Schlagzeilen: Sein Leibarzt hatte ihm das Narkosemittel über einen längeren Zeitraum verabreicht – denn es beruhigt und entspannt, kann aber auch euphorisierend und aphrodisierend wirken und sexuell enthemmen. Und: Es zirkuliert nur sehr kurz im Blutkreislauf und macht nur psychisch, nicht aber körperlich abhängig.
Vielleicht sind das die Gründe, warum Propofol auch vom medizinischen Personal missbraucht wird. Der Frage, wie verbreitet dieser Missbrauch ist, nahmen sich Forscher der Universität Bochum, der Charité und des forensisch-toxikologischen Zentrums München an.
Missbrauch ist lebensgefährlich
Bisher beruhten die Angaben dazu immer auf Aussagen Dritter und auf Sammlung von Fällen. Jetzt aber gaben 32 rechtsmedizinische Institute in Deutschland, Österreich und der Schweiz Auskunft über die Obduktionsergebnisse von insgesamt 39 verstorbenen Ärzten und Pflegepersonen, 27 davon waren Männer. Alle arbeiteten in der Anästhesie, der Rettungs- und der Intensivmedizin.
Sie alle waren zwischen 2002 und 2012 wegen Verdachtsfällen obduziert worden. Dabei wurde in 33 der 39 Fälle Propofol als Todesursache festgestellt. Sieben verstarben wahrscheinlich an unbeabsichtigten Komplikation, 24 dagegen wurden als Suizid eingestuft. In elf Fällen gingen die Pathologen von einem chronischen Missbrauch aus.
Süchtige Ärzte sind häufig
Zwar handelt es sich nur um eine sehr kleine untersuchte Gruppe, doch erfasst wurden ja nur die dramatischsten Fälle, die mit dem Tod endeten. Geht man davon aus, dass zwei bis vier Prozent der Bevölkerung suchtkrank sind, ergibt das umgelegt auf Ärzte immerhin 1000 Mediziner in der Schweiz, die ein Suchtproblem haben.
Andere Schätzungen, beispielsweise der deutschen Bundesärztekammer, legen nahe, dass bis zu acht Prozent der Ärzte im Laufe des Berufslebens süchtig werden – wegen Stress, Überforderung und hoher Arbeitsbelastung, und der leichteren Zugänglichkeit von Substanzen.
Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2010 zeigte, dass Propofol unter medizinischem Personal zwar missbräuchlich zum Einsatz kommt, jedoch seltener als Opioide – von 210 ermittelten Suchtkranken lag nur bei 19 eine Propofol-Abhängigkeit vor. Aber das Risiko ist hoch: Propofol kostete 38 Prozent von ihnen das Leben, durch Opioide oder Benzodiazepine starben dagegen nur 19 Prozent.
Nur mit Überwachung
Propofol hat zwar den angenehmen Nebeneffekt, dass das Einschlafen und Aufwachen bei der Narkose angenehmer ist als bei anderen Mitteln. Auch verursacht es weniger Übelkeit.
Das Mittel kann aber zu einer Unterdrückung der Atemfunktion, zu einem lebensgefährlichen Blutdruckabfall und zu einem Sinken der Herzfrequenz führen. Eine ständige medizinische Überwachung durch einen Dritten ist deshalb notwendig.