Alle trafen sich letzte Woche in Olten: Die Vertreter der grossen SBB, der BLS bis hin zur kleinen Oensingen-Balsthal-Bahn sind alle an die Fachtagung für einen kundenfreundlichen ÖV gepilgert.
Rund 250 verschiedene ÖV-Anbieter gibt es bei uns. Dass wir jeweils mit einem einzigen Ticket durch unzählige Verkehrsverbünde quer durch die Schweiz reisen können, grenzt an ein Wunder.
Auch das GA ist innovativ, nur wenige andere Länder kennen etwas Vergleichbares. Trotzdem herrscht im Verbund alles andere als eitel Freude, wie ein Tweet von SBB CEO Andreas Meyer deutlich machte. Kaum hatte die Tagung begonnen, schrieb er: «Erschütternde Selbsteinschätzung der ÖV-Branche. Gemeinsame Innovation und Zusammenarbeit bleiben auf der Strecke.»
Wildwuchs bei Ticket-Apps
Auslöser war eine Umfrage im Saal zum «grassierenden Einzelkämpfertum» unter den ÖV-Anbietern. Für rund drei Viertel der Anwesenden im Saal war klar, dass gemeinsame Innovation und Zusammenarbeit dabei auf der Strecke bleiben.
Einer der Gründe liegt im Wildwuchs bei neuen, digitalen Ticketsystemen, die auch Nicht-GA-Besitzern ein komfortableres Reisen ermöglichen sollen. Vorgeprescht ist Engadin Mobil mit der Fairtiq , bei der auch die Tarifverbünde Passepartout und Frimobil mitmachen – wer will, kann bei diesen beiden aber auch die App Lezzgo benutzen, die auch noch bei Libero und Onde Verte funktioniert. Die Südostbahn wiederum arbeitet an einer dritten Variante: Die Abilio-App sucht derzeit « Testpiloten ». 2018 soll das System an den Start gehen und dann Schweizweit «ausgerollt» werden – möglichst viele ÖV-Betriebe sollen sich anschliessen.
Gemeinsam in den Kampf
Dabei sind diese neuen Apps bloss ein Zwischenspiel. Für die einen sind sie ein hektischer Versuch zu verhindern, dass ein branchenfremder Gigant wie Google den Schweizer Anbietern zuvorkommt und ihnen etwa mit einem eigenen Ticket-System das Wasser abgräbt.
Die Meinungen darüber, wie akut die Bedrohung ist, gingen in Olten weit auseinander: Einig war man sich aber, dass der Kampf dagegen nur gemeinsam gewonnen werden kann.
Der Traum – oder das Ziel – ist ein einheitliches, schweizerisches Tarifsystem bis 2025, bei dem niemand mehr im Voraus ein Billett kaufen muss. Einfach einsteigen und losfahren.
Bezahlt wird im Nachhinein. Einen Schritt, das heutige Tarif-Chaos zu vereinfachen, hat die ÖV-Branche bereits gemacht. Letztes Jahr hat sie das neue IT-System « Nova » in Betrieb genommen. Die Plattform verbindet alle Tarife und Transportunternehmen und bereitet so den Weg zu einem Schweizweit einheitlichen Tarifsystem.
Abo-Modelle statt GA?
Weil in diesem System jeder ein- und aussteigen kann, ohne vorher ein Ticket zu kaufen, könnte das General-Abo überflüssig werden. Es könnte aber auch durch raffinierte Abos ersetzt werden, mit denen wir günstiger fahren, als wenn jede Fahrt automatisch einzeln abgerechnet wird.
In einem Workshop in Olten diskutierten die Teilnehmer solche neue Formen des Billettvertriebs. Wir haben die Ideen weitergespinnt und sind zu Lösungen gekommen, die unseren Handy-Abos gleichen:
- Swisspass «XL»: Damit fahre ich das ganze Jahr überallhin, egal wann, egal wie, unbegrenzt. Die totale Flatrate, wie es das heutige GA bietet. Inklusive automatischer Sitzplatz-Garantie. Kosten: Etwa doppelt so viel wie das heutige 1. Klasse-GA.
- Swisspass «L»: Ich möchte das ganze Jahr überallhin fahren, egal wann, egal wie, unbegrenzt. Die totale Flatrate, wie es das heutige GA bietet. Auch dieses Abo lade ich mir auf den Swisspass. Es kostet fast so viel wie das heutige 1. Klasse-GA, ist aber nur in der 2. Klasse gültig.
- Swisspass «M»: Ich möchte nicht so viel Geld ausgeben wie beim Swisspass «L» aber dennoch überall hin fahren können. Dann ist «M» ideal. Es kostet etwa so viel wie das heutige 2. Klasse-GA, hat aber nur eine bestimmte Anzahl Fahrten (pro Monat oder pro Jahr) «inbegriffen». Ist dieser Deckel «(Cap») überschritten, wird der normale Tarif abgebucht.
- Swisspass «S»: Damit kann ich regelmässig eine gewisse Strecke fahren. Für eine bestimmte Pauschale (abhängig von der Strecke) erhalte ich das Recht, immer dieselbe Strecke zu fahren. Je mehr ich sie fahre, desto günstiger wird die einzelne Strecke. Fahre ich ausnahmsweise eine andere Strecke, wird mir der normale Ticket-Tarif verbucht.
- Swisspass «XS»: Ich möchte den ÖV möglichst günstig nutzen und bin dafür zu Kompromissen bereit. Mit «XS» fahre ich beinahe gratis. Eine App schreibt mir jedoch vor, wie ich das Ziel erreiche. Je nach Tageszeit ist das Abo nur in langsameren Regionalzügen gültig, denkbar, dass ich zu bestimmten Zeiten für mich Fahrverbot herrscht. Wenn ich Glück habe, erlaubt mir die App aber ab und Schnäppchen-Fahrten in einem 1. Klasse-Abteil in Zügen, die fast leer herumfahren.
Mit den digitalen Technologien, die jeder im Smartphone herumträgt, sind der Fantasie bei der Preisgestaltung kaum Grenzen gesetzt. Die neuen GA-Abos könnten mit Bonus-Programmen und Zusatzdiensten kombiniert werden. Von uns zwei Vorschläge dazu:
- Wer das Abo «M» besitzt und damit statt mit dem eigenen Auto zum Grossverteiler fährt, erhält Cumulus- oder Supercard-Punkte, die er in zusätzliche freie Streckenkilometer umwandeln kann.
- Wer das Abo «M» oder «S» besitzt, kann den Dienst «Time Flexi» aktivieren. Der gibt via App Vorschläge, wie ich Kosten sparen kann, wenn ich nur zu bestimmten Zeiten oder via eine bestimmte Strecke fahre.
Noch steht die Beerdigung des GAs aber nicht bevor. Im ÖV will politisch schliesslich fast jeder mitreden. Alleine bei der Lancierung des Swisspass musste jeder einzelne Kanton angehört werden. Bei der viel drastischeren angepeilten Umstellung zur digitalen automatisierten Fahrtenerfassung jedes Passagiers wird der politische Prozess wohl noch viel mehr Zeit in Anspruch nehmen.