«Hör auf, uns den Spass zu verderben, du dumme Schlampe», «Bring dich um, du Dreckstück», «Ich hoffe, du stirbst an Krebs» – Hunderte solcher und schlimmerer Online-Nachrichten musste Anita Sarkeesian über sich lesen. Und das nur, weil sie als Medienkritikerin die Darstellung von Frauen in Computer-Spielen untersuchen wollte.
Nach allem, was sie erlebt hat, wirkt die 35-jährige im Interview während des Ludicious Game-Festivals in Zürich aber überraschend unbeschwert: Anita Sarkeesian gibt offen Auskunft und unterbricht ihre Rede gerne mit einem ansteckenden Lachen. Hat die Hass-Kampagne, die vor sechs Jahren begann und in Teilen bis heute andauert, keine Spuren bei ihr hinterlassen? Hat sie das ständige Bombardement mit sexistischen und gewaltandrohenden Internet-Kommentaren gänzlich kalt gelassen?
Natürlich nicht, sagt die Medienkritikerin, es habe sie traumatisiert: «Nur weil die Angriffe online stattfanden, war ihre Wirkung nicht weniger traumatisch, als wenn es im echten Leben gewesen wäre.» Sie habe in ständiger Angst gelebt. «Und ich bin noch heute sehr wachsam, wenn es um meine Sicherheit geht. Wenn immer möglich versuche ich, nicht alleine unterwegs zu sein.»
Die Feministin als böse Endgegnerin
Rückblende ins Jahr 2012: Anita Sarkeesian sammelt Geld für die Videoserie «Tropes vs. Women in Video Games». Darin beschäftigt sie sich etwa mit Frauen in Computergames, die kaum je Heldinnen, oft aber Jungfrauen in Nöten sind. Das genügt, um einige selbsternannte Wächter der Game-Welt in Rage zu bringen. Im Internet formt sich ein Mob, der Sarkeesian mit Vergewaltigung und Tod droht, ihre Adresse veröffentlicht und Auftritte von ihr mit Bombendrohungen eindeckt.
Es sei nicht so, dass Games per se ein Sexismus-Problem hätten, meint Anita Sarkeesian heute. Doch um das Medium habe sich eine Subkultur von Männern gebildet, die Games als ihr Refugium betrachteten. Als letzte Bastion von Männlichkeit, die es mit allen Mitteln gegen weibliche Eindringlinge zu verteidigen gelte. «Das Faszinierende ist, dass sie sich dabei im Recht sehen – als Helden der Geschichte. Sie brauchen dieselbe Sprache, die sie aus Games kennen: Sie sind die Helden, die den Endgegner besiegen, der alles zerstören will, das ihnen lieb und teuer ist.»
Ein erster Auftritt der Alt-Right
Für die US-Journalistin Angela Nagle sind die Kampagne gegen Sarkeesian und die darauffolgenden Online-Attacken gegen andere Frauen in der Game-Branche («Gamergate») ein Ausgangspunkt der neuen Rechten in den USA, die vor allem im Internet aktiv ist. Und dort junge Männer findet, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen. Anita Sarkeesian teilt diese Einschätzung: «Ihnen wird gesagt: ‘Weisst du wer schuld an deiner Misere ist? Die Frauen!’ Genau so, wie anderswo Einwanderer für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht werden.»
In der Kampagne gegen Sarkeesian konnte die neue Rechte zum ersten Mal ihre Online-Taktiken üben: Verhöhnen, Blossstellen und Bedrohen von Gegnern. Das kam später auch im US-Präsidentschafts-Wahlkampf zum Einsatz und prägt bis heute den politischen Diskurs in US-Online-Medien mit.
Doch Anita Sarkeesian lässt sich davon nicht mehr einschüchtern: «Es ist mir scheissegal geworden, ob ich in Interviews etwas Dummes sagen könnte. Ich habe so lange mit so viel Angst gelebt, dass es mich entmenschlicht hat. Und ich habe beschlossen, das nicht länger zuzulassen.»