Wegen des Schweizer Strombedarfs wurde 1963 ein ganzes Tal geflutet. Das Val di Lei lag in Italien, die Staumauer und die ganze Stromproduktion befinden sich jedoch auf Schweizer Boden. Es entstand der Lago di Lei. 15 Alpen wurden damals geopfert.
Zum ersten Mal sind die Ruinen heute wieder sichtbar – denn der See wurde zwecks Revisionsarbeiten entleert. Vermoderte Steinmauern, alte Fenster, Kessel und Räder erscheinen als Zeugen einer längst vergangenen Zeit.
Arbeitsplätze für Italiener – aber auch Nachteile
Rita Vaninetti war damals oft im Val di Lei. Ihrem Vater gehörte eine der Alpen. Heute ist die Italienerin fast 80 Jahre alt. Sie erinnert sich noch gut an die Zeit auf der Alp. «Wir Mädchen mussten nicht viel arbeiten. Wir lagen in der Sonne oder machten Spaziergänge. Es war ein glückliches Leben», sagt sie in der Sendung «Schweiz aktuell».
1957 begannen die Bauarbeiten am künstlichen See im Val di Lei. Bis zu 1500 Arbeiter, die meisten davon Italiener, bauten fünf Jahre lang an der gewaltigen Staumauer. Wegen einer Grenzkorrektur liegt diese heute auf Schweizer Boden.
Es war ein Machtkampf, bis das Mammutprojekt beginnen konnte. Doch letztlich konnte Italien das Geld aus der Schweiz gut gebrauchen. «Und hat einen schlechten Deal gemacht», ist Gregorio Fanetti, Lokalhistoriker im Val di Lei, überzeugt. Man habe früher nur die Grundbesitzer verhandeln lassen. Diese hätten einfach einen Realersatz für ihre Alp gewollt. Oder Geld.
Über 1700 Menschen umgesiedelt
Aber niemand habe an die Gemeinden gedacht. Denn diese hätten bis heute das Gefühl, zu wenig Strom vom Kraftwerk zu erhalten, so Fanetti.
Die Bergler im Val di Lei sind nicht die einzigen, die ihr gewohntes Leben für den Bau einer Staumauer aufgeben mussten. Das grösste Projekt in der Schweiz war im Jahr 1937 der Sihlsee: 55 Landwirtschaftsbetriebe verschwanden in den Fluten. 1762 Menschen wurden umgesiedelt. Die meisten der Betroffenen wanderten in die USA aus.
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Bild 1 von 17Legende: Der wasserlose Lago di Lei auf italienischem Gebiet: Im Herbst wurde er zwecks Revision entleert und er gab seine Schätze frei. Jetzt wird der See wieder aufgefüllt. Die Staumauer steht auf Schweizer Boden. Keystone
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Bild 2 von 17Legende: Normalerweise lässt die Staumauer aus dieser Richtung keinen Blick zu. Der leere Lago di Lei mit seinen Ruinen. SRF/urs hüni
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Bild 3 von 17Legende: Als wäre nichts geschehen: Dieses Fenster aus einer Ruine sieht aus, als wäre es noch heute in Gebrauch. SRF/urs hüni
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Bild 4 von 17Legende: Ein einmaliges Vergnügen für diesen Vierbeiner: Er darf in den Alpen-Ruinen spielen. Ob früher hier auch Hunde herumgerannt sind? SRF/urs hüni
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Bild 5 von 17Legende: Was haben die damaligen Bewohner wohl mit diesem Kessel gemacht? Er lag 50 Jahre lang tief versunken im Stausee Lago di Lei. SRF
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Bild 6 von 17Legende: Früher gab es im Val di Lei auf italienischem Gebiet 15 Alpen. Das Leben war anstrengend, aber glücklich, wie eine Zeitzeugin sagt. SRF
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Bild 7 von 17Legende: So präsentierte sich der Lago di Lei in den letzten 50 Jahren – und so wird er wohl auch bald wieder aussehen. Keystone
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Bild 8 von 17Legende: 1954 wurde im Kanton Graubünden der Marmorera-Stausee fertiggestellt. Das alte Dorf Marmorera wurde überflutet. Das neue Dorf wurde oberhalb des Stausees neu erbaut. Viele Einwohner zogen aus wirtschaftlichen oder emotionalen Gründen aber lieber in ein anderes Dorf. Keystone
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Bild 9 von 17Legende: Das Bündner Dörfchen Marmorera, kurz bevor es von den Wassermassen überflutet wurde. Keystone
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Bild 10 von 17Legende: Das vielleicht bekannteste Stausee-Bild: Der alte Kirchturm ragt noch aus dem Reschensee im Südtirol. 1939 wurden die Einwohner mehrerer Dörfer zwangsenteignet und umgesiedelt. 1950 wurde das Tal überflutet. Keystone
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Bild 11 von 17Legende: Bei der Entstehung des Sihlsees bei Einsiedeln im Kanton Schwyz verschanden 55 Landwirtschaftsbetriebe. Über 1700 Menschen mussten umsiedeln – die meisten Familien wanderten in die USA aus. Keystone
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Bild 12 von 17Legende: Für den Sihlsee überflutet wurden 93 Wohnungen, 124 Scheunen, 179 Torfhütten und 14 weitere Gebäude wie Sägereien, Kapellen oder Brücken. 55 Bauernhöfe wurden mit Gebäuden und Land überschwemmt. 454 Hektaren Streuland, 372 Hektaren Wiese, 45 Hektaren Torfboden und 5 Hektaren Wald fielen dem See zum Opfer. Keystone
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Bild 13 von 17Legende: Im Göschener Tal im Kanton Uri wurde ab 1962 eine Dauersiedlung mit mehreren Wohnhäusern und Kirche versenkt. Rund 100 Personen mussten umgesiedelt werden. Entstanden ist der Göscheneralpsee. Keystone
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Bild 14 von 17Legende: Eine 66 Meter hohe Staumauer liess das Schwyzer Dorf Innerthal in den 20er-Jahren verschwinden. Die Kirche wurde gesprengt. Das Dorf wurde am heutigen Standort neu gebaut. Keystone
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Bild 15 von 17Legende: Das Sommerdorf Émosson im Tal der Barberine im Wallis wurde 1974 nach dem Bau der Staumauer geflutet. Es entstand der Lac d'Émosson. Keystone
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Bild 16 von 17Legende: Für den Lago di Vogorno im Tessin musste ein Teil des Dorfs Vogorno im Verzascatal geflutet werden. Die Häuser wurden am Hang oberhalb des Sees neu erbaut. Keystone
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Bild 17 von 17Legende: 1957 wurde das Dorf Zervreila oberhalb von Vals im Kanton Graubünden überflutet. Das Dorf wurde nicht mehr neu aufgebaut, jedoch wurde das Zervreila Restaurant aus dem Holz der alten Häuser aufgebaut. Keystone
1924 musste das Dorf Innerthal im Kanton Schwyz dem Wägitalersee weichen. Die Kirche wurde gesprengt, das beliebte Badehotel geflutet. Das Dorf wurde am heutigen Standort neu aufgebaut.
1954 wurde im Kanton Graubünden der Marmorera-Stausee fertiggestellt. Er überflutete das alte Dorf. Das neue Marmorera wurde oberhalb des Stausees gebaut. Doch viele Einwohner zogen aus wirtschaftlichen oder emotionalen Beweggründen lieber in ein anderes Dorf.
Südtiroler Bewohner haben keine Wahl
Der Staudamm im Göschener Tal bei Göschenen im Kanton Uri wurde 1960 fertiggestellt. Eine Dauersiedlung mit mehreren Wohnhäusern und Kirche, die Göscheneralp, versank 1963 für immer in den Fluten. 100 Menschen mussten umgesiedelt werden.
Das vielleicht bekannteste Projekt stammt aus dem Südtirol (Italien). Noch heute ragt der Kirchturm des überschwemmten Dorfes aus dem See. Die Einwohner wurden 1939 im «nationalen Interesse zur Stärkung der nationalen Industrie» zwangsenteignet und zur Umsiedelung gezwungen.
Im Sommer 1950 wurden die Gebäude gesprengt und überflutet. Der romanische Turm aus dem 14. Jahrhundert liess man aus Gründen des Denkmalschutzes stehen. Die Dörfer Graun und Reschen sowie die Weiler Arlund, Piz, Grof und Stockerhöfe dagegen tauchten für immer unter.