1977 steckt die Schweizer Uhrenindustrie in einer tiefen Krise, die japanische Konkurrenz läuft ihr mit ihren günstigen Digitaluhren den Rang ab. Die Firma Rolex schreibt einen Wettbewerb aus. Neue Ideen sind gefragt. Der Tüftler Bent Stumpe fühlt sich angesprochen. Er reicht bei Rolex Pläne ein – für die intelligenteste Uhr der Welt.
Bent Stumpe? Ein Unbekannter ausserhalb des Cern. Am weltbekannten Forschungszentrum hingegen hat er einen Namen. Dort arbeitet der gebürtige Däne seit 1961 als Ingenieur, wo er für die Forscher revolutionäre Steuerungsgeräte erfindet. Beispielsweise eine erste Maus, gesteuert durch eine Bowlingkugel und den ersten durchsichtigen Touchscreen.
Inzwischen ist Stumpe 76 Jahre alt. Seine Bewegungen sind bedächtig, die Augen aber unruhig, der Blick fordernd. Er sitzt in der Kantine des Cern, vor sich einen Cappuccino und einen übervollen Aktenordner. Darin befindet sich die Dokumentation der Erfindung des Touchscreens. Sachte nimmt er den Prototypen von damals aus dem Ordner: «Ein schönes Stück, sehen Sie?»
Teletext am Handgelenk
Gleich dahinter folgen ein Fachartikel, mit dem Bent Stumpe 1974 die Erfindung öffentlich macht und eine Liste. Sie umfasst 294 US-Firmen von HP über Rüstungsfirmen bis zur Luftwaffe. Alle wollen sie Details zu diesem Touchscreen. Damals werden Telefone noch mittels Wählscheibe statt durch Streicheleinheiten bedient. Das iPhone kommt erst dreissig Jahre später, bis zur Apple Watch dauert es noch vierzig Jahre.
Am Cern aber steuern die Wissenschaftler ihre Geräte zu dieser Zeit bereits via Touchscreen von Stumpe. Und der überlegt sich, was mit seiner Erfindung noch zu machen wäre. 1977 entwirft er, was er eine «Rolex Smart Oyster» nennt: eine intelligente Uhr mit Touchscreen, Zugang zu Telefonbuch und Teletext. Eine Uhr als Wörterbuch oder Steuergerät für Computersysteme
Vision scheitert an der Bürokratie
Nur unsere Fantasie setze dieser Uhr Grenzen, schreibt Stumpe voller Begeisterung. Allerdings gibt es damals noch kein Internet, kaum Personalcomputer, mit denen man die «Smart Oyster» so einfach hätte verbinden können. Vielleicht sei er seiner Zeit zu weit voraus gewesen, räumt Stumpe ein – wischt dann aber den Einwand vom Tisch: Mit seiner Smartwatch hätte die Schweiz die Vorherrschaft der japanischen Digitaluhren beenden können.
Warum folgte Rolex seiner Vision nicht? Die Antwort ist profan: Leider könne die Firma nicht auf den Vorschlag eingehen, weil die Eingabe nicht auf dem offiziellen Formular für den Wettbewerb eingereicht wurde, liest Stumpe aus dem Brief vom 3. Juni 1977 vor.
Er hält das Papier hoch, grinst. Das sei die Schweizer Art, Dinge zu erledigen: Strikt gemäss den Vorschriften.