Von einer «egozentrischen Sicht» spricht Amos S. Cohen, emeritierter Professor für Psychologie an der Universität Zürich: Man müsse die «Lichtsignalanlage» (LSA) – so ihre Bezeichnung im Schweizer Strassenverkehrsgesetz – als Teil des Systems betrachten. Ihr Ziel sei die Regelung des Gesamtverkehrs, sie gewährleiste den Verkehrsfluss. Eine rationale Sicht, die manch Wartendem wie blanker Hohn erscheinen mag.
«Die klassische Definition von Stress»
Cohen spricht jedoch auch von einer «Verzerrung»: «Wer auf eine Ampel zusteuert, hat immer das Gefühl, sie wird gleich rot. Die Kumulation von Ampeln wird als Stress wahrgenommen – sie ist sogar die klassische Definition von Stress: Man kann ein Ziel nicht erreichen, weil man behindert wird.»
Die Sinnhaftigkeit, ja verkehrstechnische Revolution, die von der Ampel ausging, lässt sich derweil historisch verdeutlichen: «Die Reglementierung des Verkehrs kam in Deutschland auf. Man hat etwa in der preussischen Verkehrsordnung von 1905 einige absurde Dinge formuliert: Bei Gefahr musste der Lenker das Fahrzeug an Ort und Stelle sofort zum Stillstand bringen – es gab keine Toleranz, weder bei der Reaktionszeit des Fahrers noch der Bremsstrecke.»
Wie viel berechenbarer erscheint da die Ampel als Taktgeber, welche den Berliner Verkehr schon in der 1920er Jahren in geordnete Bahnen lenkte.
Verspätete Einführung in der Schweiz
In der Schweiz sollte es bis knapp in die 1950er Jahre dauern, bis die Ampel flächendeckend eingeführt wurde. Pionierarbeit leistete 1949 Zürich, doch die Lancierung barg Hindernisse: Wie auch in anderen Ländern war die Skepsis der Verkehrsteilnehmer am, Anfang gross, die Verbindlichkeit der Ampel fraglich.
Anhand von Illustrationen erklärte damals die NZZ ihren Lesern das «in der Theorie komplizierte, aber in der Praxis einfache Prinzip» der Anlage.
Der Zürcher Polizeivorstand erliess die Vorschrift, dass bei rotem Licht anzuhalten sei. Heute gibt es in der Stadt Zürich rund 400 «Verkehrsregelungsanlagen», zu der jeweils mindestens zwei Ampeln gehören. Ein wahres Dickicht an «Lichtsignalanlagen», das zum selbstverständlichen Stadtbild gehört.
Das «Ampelmännchen» im Geschlechterkampf
Hinterfragt wird die Ampel trotz ihrer tiefen Verankerung im Verkehrsalltag weiterhin. In Deutschland etwa entzündete sich nach der Wiedervereinigung eine lebhafte Debatte, ob das west- oder ostdeutsche «Ampelmännchen» vorzuziehen sei.
Die leicht korpulente DDR-Variante mit Hut hatte längst Kultstatus erlangt. Von emanzipatorischen Kreisen kam heftiger Gegenwind. In einigen deutschen Städten leuchtet auf der Fussgängerampel seither eine Frau. Auch das Schweizer Strichmännchen, bei dem die maskulinen Züge dezenter ausfallen, geriet schon ins Visier von Frauenrechtlerinnen.
Rot und grün für alle Zeiten?
Beim Blick über den nationalen Tellerrand erstaunt: Ob in China, Frankreich oder Australien – überall erstrahlt die Ampel in den Farben Rot und Grün. Der prominenteste Versuch, das Farbschema (teilweise) zu durchbrechen, wurde im kommunistischen China unternommen: Rot, die Farbe des Kommunismus, sollte zum Zeichen für freie Fahrt werden. Das Unternehmen endete im Chaos.
Auch wenn der Trend zum Kreisverkehr und «ampelfreien Zonen» anhält, die Lichtsignalanlage wird uns erhalten bleiben. Dafür garantieren zahllose Fussgänger, die sicher zur anderen Strassenseite geleitet werden wollen. Und damit wird künftigen Generationen auch der monotone Gesang verständlich bleiben, den Monty Python 1980 anstimmte: «Ich mag Ampeln, ich mag Ampeln – aber nur bei grün.»