Die junge Frau mit dem kleinen Kind und der Wanderführer aus dem Wallis lieben es, auf einer schmalen Liege durch die Nacht zu rattern, mit drei oder fünf anderen teilweise unbekannten Passagieren. Zwischendurch beim Rangieren auf einem unbekannten Bahnhof kurz aufzuwachen und im Morgengrauen in einer fremden Stadt die ersten Schritte zu machen.
Billigflieger hinterlassen Spuren
Doch immer mehr Reisende bevorzugen Hochgeschwindigkeitszüge am Tag oder Billigflieger. Die europäischen Bahnunternehmen haben das Nachtzugnetz deshalb sukzessive ausgedünnt.
Die spanische Renfe strich ihre Talgo-Verbindung von Zürich nach Barcelona. Die SBB und die italienischen Staatsbahnen kappten die Verbindungen Richtung Süden und zuletzt strich die Deutsche Bahn (DB) den Nachtzug nach Kopenhagen. Die Citynightline-Züge nach Amsterdam, Hamburg, Berlin, Dresden und Prag würden jedoch weiter geführt, hiess es noch vor einem Monat bei der Deutschen Bahn – nun also doch nicht.
DB steigt Ende 2016 aus
Nun gab die DB bekannt, dass sie nur noch bis Ende 2016 klassische Nachtzüge betreiben werde. Auf Anfrage schreibt das Unternehmen: «Grund hierfür ist das trotz Sanierungsbemühungen anhaltend hohe Defizit der Nachtzugsparte. Auch für die kommenden Jahre ist Prognose negativ.»
Konkret hätten Nachtzüge der DB 2015 bei einem Umsatz von 90 Millionen Euro mit einen Verlust von 32 Millionen Euro beschert. Deshalb, so die DB schriftlich, sei ein «Konzept zur Überführung der klassischen Nachtzugverkehre in ein neues Nachtreise-Angebot» ausgearbeitet worden. Konkret will die DB in der Nacht vermehrt Hochgeschwindigkeitszüge – ohne Liegen – vom Typ ICE sowie Busse einsetzen.
Hoffnungsträger ÖBB
Für Philippe Koch, den Geschäftsführer der Schweizer Umweltorganisation umverkehR, ist das ungenügend: «Für längere Strecken ist dies keine Alternative. Es fehlen der Komfort und die Ruhe.» Nachtzüge seien für viele, die auf den Flieger verzichten möchten, unersetzbar, sagt Koch.
Seine letzte Hoffnung sind die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) die den Nachtzug von Zürich nach Wien und Budapest betreiben und daran festhalten wollen. «Die ÖBB ist immer noch eine Staatsbahn, die nicht an die Börse gehen möchte und auch nicht eine so grosse Rendite erwirtschaften möchte wie die DB», erklärt Koch den Unterschied. In Österreich glaube man noch an das Nachtzuggeschäft und man habe eben erst Wagen für das eigene Netz Richtung Osten gekauft.
Dies weckt bei der Umweltorganisation die Hoffnung, dass die Österreicher beim europaweiten Nachtzugangebot in die Lücke springen könnten. Michael Braun, Pressesprecher der Österreichischen Bundesbahnen, bestätigt, dass die ÖBB am Nachtzugangebot festhalten wollen.
Dass sie von der Deutschen Bahn weitere Nachtzugverbindungen übernehmen könnten, schliesst er immerhin nicht aus: «Das klingt interessant und wir sind mit den Kollegen der Deutschen Bahn im Gespräch. Aber das ist nur eine von vielen Möglichkeiten.» Man müsse sich das gut überlegen und selbst erstmal den «Rechenschieber» hervornehmen, sagt Braun.
Der Pressesprecher rechnet damit, dass der Entscheid im kommenden Frühjahr fallen wird. Hamburg, Amsterdam, Berlin, Kopenhagen, Prag – auch im besten Fall werden die Nachtzugfans künftig nur noch einen Teil ihrer Wunschdestinationen auf einer schmalen Liege schlafend erreichen können.