«Jaaaaa! Ich fühle genau das Gleiche wie du! Das glaubst du nicht? Hier, guck ... Moment ... Au, mein Finger ... Gleich habe ich’s ... So, jetzt! Ich zeige es dir durch dieses Herz!» Entschuldigen Sie bitte einen Moment, ich muss mich kurz übergeben.
Derart angewidert schreibt ein deutscher Kulturjournalist gegen die «Quasimodos der Semiotik» an. Offenbar erfolglos. An den Olympischen Spielen in Rio vergeht kein Tag, ohne dass ein abgekämpfter Athlet seine letzten Kräfte bündelt – und Daumen und Zeigefinger zu einem Herzchen formt. Die «Holzhammer-Geste für die hypnotisierte Masse» – wieder der Kulturjournalist – hat es offensichtlich in den Mainstream geschafft.
Nüchterner urteilt der Künstler und Philosoph Martin Weyers: «Man sollte das nicht ganz so verbissen sehen.» Die Botschaft sei weder flach noch plump, sondern sehr komplex. So komplex, dass sie den Vorsitzenden von Symbolon, der deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Symbolforschung, zu tiefenpsychologischen Deutungen veranlasst: «Durch die modernen Medien und die etwas kühle moderne Welt entsteht ein Bedürfnis, Herzlichkeit zurückzubringen». Offenbar auch im Spitzensport.
Allerdings, räumt Weyers ein, versteht sich nicht jeder Athlet als Botschafter der Völkerverbrüderung: Denn manche machten das Zeichen aus Coolness; andere ahmen es einfach nach. Wie auch immer: «Man sollte das locker sehen», so Weyers.
Hand aufs Herzchen
Was der Kulturjournalist als Auswuchs der «Whats-App-Generation» brandmarkt, sieht der Philosoph gelassener. Fleischgewordene Emoticons sind die Athleten in Rio für ihn noch lange nicht, sondern einfach Kinder ihrer Zeit: «Persönliches wird heute in den öffentlichen Raum getragen, das erleben wir auch sehr stark auf Facebook oder in den sozialen Medien. Das ist, bei allen problematischen Aspekten, menschlich nachvollziehbar.»
Bleibt die Frage: Hat das Victory-Zeichen im Spitzensport ausgedient? Möglicherweise, befindet Weyers: «Es wirkt distanziert, cool, die Geste ist minimalistischer. Das Handherz-Zeichen hat einen persönlicheren Charakter und ist viel emotionaler als das Victory-Zeichen.»
Klingt nach einem flammenden Plädoyer für mehr Handherzchen. Kulturphilosoph Weyers wird zu deren weiterer Verbreitung aber nicht beitragen: «Ich würde es nicht selber verwenden, es ist doch etwas kindlich belegt.»