Schon in alten Tagen, als Musik noch auf Vinylplatten gepresst und mit Lastwagen in die Läden gerollt wurde, war das Geschäft mit Musik ein kompliziertes. Bis Geld vom Käufer zum Künstler wanderte, machten erst Musiklabels, Vertrieb und Ladenbesitzer die hohle Hand. In Zeiten von MP3 und Streaming-Plattformen ist dieses Geflecht noch viel dichter geworden. Konzessionen, Lizenzen, Patente, Urheberrechte müssen beachtet und unzählige neue Mittelsmänner bezahlt werden.
Der Streaming-Dienst Spotify zum Beispiel lässt seine Abonnenten jedes Jahr Milliarden von Musiktiteln hören. 70 Prozent der damit erzielten Einnahmen gibt die Plattform an die Rechteinhaber der Musik weiter. Die teilen das Geld dann weiter auf; nach komplizierten Verteilschlüsseln, die je nach Land oder Vertrag sehr unterschiedlich ausfallen können. Für den einzelnen Künstler bleiben am Ende oft nur mehr die Krumen übrig.
Ist die Musikindustrie unfair?
Das geht nicht nur bei Streaming-Diensten so. Wenn Musik als MP3-File oder auf CD verkauft wird, ist das System nicht weniger kompliziert. Und genau so undurchsichtig: Keiner der Beteiligten weiss vom anderen genau, wie viel dieser am Ende kassiert. Und weil die einzelnen Akteure oft durch Verträge mit Geheimhaltungsklauseln aneinander gebunden sind, ist Transparenz so gut wie unmöglich.
Auftritt Imogen Heap, die mit diesem Wirrwarr aufräumen will. Ihren Song «Tiny Human» hat die britische Musikerin nicht auf die herkömmliche Art veröffentlicht, sondern mit Hilfe der Blockchain – jener Technologie, auf der auch die digitale Währung Bitcoin basiert. Die Musikindustrie sei ein komplexes und unfaires System, sagt Heap. Mit ihrem Experiment wolle sie das ändern.
Der Smart Contract verteilt das Geld
Man kann sich die Blockchain vereinfacht als eine Art verteilte Datenbank vorstellen. Alle Benutzer besitzen eine exakte Kopie, die sie jederzeit einsehen können. In dieser Datenbank werden alle Transaktionen zwischen den am Entstehungsprozess und Verkauf eines Musikstücks beteiligten gespeichert – vom Künstler über den Toningenieur, den Produzenten und die Studiomusiker bis hin zum Käufer.
Auf der Blockchain ist ausserdem ein sogenannter Smart Contract gespeichert, eine spezielle Software. Dieser intelligente Vertrag hält nicht nur fest, wer am jeweiligen Musikstück mitgearbeitet hat und welches Honorar ihm dafür zusteht. Er verteilt auch gleich das Geld, wenn jemand für Musik bezahlt.
Blockchain speichert Verträge und Angaben zum Musikstück
Die Geldflüsse in diesem System sind ungleich schneller als gewohnt. Der Künstler muss nicht mehr Wochen oder gar Monate auf sein Honorar warten, sondern bekommt das Geld in Minuten auf sein Konto überwiesen. Und weil jeder die Blockchain einsehen kann, liegt die Buchhaltung immer transparent offen.
Noch mehr: Da in der Blockchain auch Verträge gespeichert werden können, lässt sich auch öffentlich festhalten, welche Rechte die Käufer haben und wie kommerzielle Abnehmer wie Werbetreibende ein Stück verwenden dürfen. Imogen Heap will darüber hinaus auch noch Angaben zum Stück zur Verfügung stellen – zum Beispiel, wie es entstanden ist oder welche Instrumente benutzt wurden.
Mittelsmänner könnten überflüssig werden
Für den Künstler wiederum hält die Blockchain Daten bereit, an die er sonst nicht gekommen wäre; etwa, wie oft ein Song gespielt wurde, wann und wo – also Anhaltspunkte dafür, was bei welchen Fans besonders ankommt. Das sind Informationen, die bisher Musiklabels oder Streaming-Diensten vorbehalten waren.
Theoretisch hat die Technologie also das Potential, die Arbeit der Mittelsmänner zwischen Künstler und Käufer überflüssig zu machen. Für die Labels bliebe im Verkauf der Musik weniger zu holen. Sie müssten sich auf Marketing- und Promotion-Aufgaben konzentrieren oder den Aufbau neuer Talente.
Die Musikindustrie verschliesst nicht die Ohren
Imogen Heap ist nicht die einzige Musikerin, die mit der Blockchain experimentiert. Bislang sind diese Versuche aber noch weit davon entfernt, den Mainstream zu erreichen. Und auch die Frage ist offen, ob der gewöhnliche Musikkonsument überhaupt Interesse für so ein revolutionäres System hat – oder b er mit dem bestehenden ganz zufrieden ist.
Die Musikindustrie jedenfalls ist schon aufmerksam geworden. An Messen wie der Midem in Cannes wird eifrig über die Blockchain diskutiert. Denn eine dezentralisierte, für alle einsehbare Datenbank könnte auch den Musiklabels und –verlagen helfen, Überblick in den Dschungel von Rechtefragen und Lizenzgebühren zu bringen.