Kunstvolle Pionierarbeit: Die Graffiti-Beauftragte Priska Rast
Wenn Priska Rast jemandem sagt, was sie von Beruf ist, gibt es ein gängiges Reaktionsmuster: «Die meisten staunen und grinsen und fragen dann: Du gehst in dem Fall sprayen?» Aber das macht die 40-Jährige mit den braunen Stirnfransen nicht – das hat sie auch nie: «Nein, ich bin in keiner Weise vorbelastet.»
Die Stadt Zürich schuf die Stelle, als sich Ende der 90er-Jahre rechtsextreme Sprayereien häuften. Man beriet die Geschädigten Hausbesitzer. Diese Beratung ist immer noch eine von Rasts Aufgaben. Seit einigen Jahren bietet die Stadt zusätzlich ein Anti-Graffiti-Abo an. Gelöst wurde so eines zum Beispiel für das denkmalgeschützte Hochaus am Letzigraben. Das Abo bedeutet: Hier wird eine Sprayerei innert drei Tagen wieder weggeputzt, von einer städtischen Sozialfirma.
900 Franken im Jahr kostet das Anti-Graffiti-Abo für die Betonfassade des elfstöckigen Hauses. Was man bei den Gebäudeversicherungen nicht kann, kann man so bei der Stadt: Sich gegen Graffiti versichern. «Ob eines oder 20 Graffiti, es ist einfach gedeckt. Das Abo eignet sich für jeden Hauseigentümer, der mindestens einmal pro Jahr einen Schaden hat, denn das hat man sehr schnell wieder raus.»
Die Putzequipe entfernt die Schmiererei nicht nur, sie trägt auch eine Schutzschicht auf, die das Putzen erleichtert. Denn ein nächstes Mal gibt es bei Problemlagen wie dieser am Letzigraben fast sicher. Das Hochhaus liegt in Sichtweite des Stadions.
Vandalismus nach jedem Fussballspiel
«Diese Fussballfreaks haben nichts anders zu tun, als die Fassade blödsinnig zu besprayen. Wenn einer an einer Ecke beginnt, kommt der nächste und sprayt seinen Quatsch hinzu. Es ist einfach schlimm», sagt Marcel Meili. Er ist der Abwart der Liegenschaft. Jahrelang war er regelmässig synchron zum Fussball-Spielplan mit Chemikalien, Pinsel und Farbkübel unterwegs. Bis ihm die Hausverwaltung mitteilte: «Wir lösen jetzt ein Abo. Du musst das nicht mehr selbermachen.»
Oft müsse man das Zeug mit Dampf herunterholen, und solche Geräte besitze er gar nicht. Deshalb sei die Lösung gut, sagt Meili. Gut nicht nur, weil die Graffitis schnell wieder weg sind, sondern auch, weil die Mauer seither auch länger sauber bleibt. Ein klassisches Phänomen, für das die Expertin Rast einen Namen hat: Broken-Windows-Effekt. «Den hat man auch schon wissenschaftlich untersucht.»
Der Broken-Windows-Effekt bedeutet in diesem Fall : Gesprayt wird, wo schon gesprayt worden ist. Man spürt es, durch ihre Arbeit ist Rast also mit der Sprayer-Psyche vertraut geworden. Sie weiss, was die Sprayer und Graffiti-Künstler reizt. Zum Beispiel die Bahnen auf einem nigelnagelneuen Skaterpark. «Man steht aufs Skateboard, nimmt eine Spraydose in die Hand und fährt einmal über die Anlage. Und schon ist es passiert.»
Präventiv Graffiti-Künstler angestellt
Und gleich schnell wäre das auch bei den Bretterwänden entlang der Grossbaustelle vorne am See, zwischen Bellevue und Bürkliplatz passiert – wenn die Graffiti-Beauftragte nicht präventiv hätte handeln lassen: «Ich habe drei verschiedene Künstlertruppen organisiert, die mit einem Dutzend Leuten am Arbeiten war. Fast 700 Quadratmeter Fläche auf der Baustelle. Also endlos.»
Entstanden ist eine vielfältige, aber halt doch geordnete Freiluft-Galerie, die Rast gefällt: «Von knallbunt bis Streetstyle über grafisch und fast fotorealistisch bis zum Totenkopfstil hat es ungefähr alles drin.» Pase war einer der Auftragskünstler hier. «Ich mache das mit meinem Bruder zusammen. Wir leben von der Kunstform Streetart, Graffiti», erzählt der 33-Jährige in seinem Atelier in Zürich-Altstetten. Er sprayte schon als 15-Jähriger – dann natürlich noch nicht im Auftrag der Stadt.
Damals sei das noch nicht so weit entwickelt gewesen. «Das Illegale gehört zur Graffiti-Kultur dazu», so Pase. Ist es da nicht ein Widerspruch, legal zu arbeiten? Nein, sagt er, wenn man wirklich frei sein und von dieser Kunst leben wolle, gebe es keinen anderen Weg: «Wenn du das illegal machst, lebst du das in der Nacht, vielleicht einmal im Monat aus. Sonst arbeitest du und hast ein sehr angepasstes Leben.»
Legale Sprayereien machen Freude
Was die Zusammenarbeit mit Graffiti-Künstlern angehe, leisteten Zürich und die Graffiti-Beauftragte Pinoierarbeit, findet der Künstler. Massnahmen wie das Anti-Graffiti-Abo findet er dagegen weniger gut. So verschwinde der illegale Teil der Graffiti-Kultur zusehends: «Wenn du in andere Städte gehst, siehst du viel mehr – ich sage mal – freie Graffiti. Wenn du in Zürich herumfährst, merkst du schon, dass es immer mehr zurückgeht.»
Stimmt, sagt die Graffiti-Beauftragte, es wird heute weniger und kleinflächiger gesprayt, und die Stadt gibt fürs Graffiti-Wegputzen einen Drittel weniger aus als noch vor zehn Jahren. Wegputzen von Illegalem bleibt ein Teil ihres Jobs. Legales ermöglichen ist der schönere: «Die Zusammenarbeit macht wirklich Spass. Die jeweiligen Beitreiber, seien es Schulen oder Ämter, haben wirklich auch Freude an den Arbeiten.»
Trotzdem: Die einzige Graffiti-Beauftragte der Schweiz bleibt ein Feindbild für manch illegalen Sprayer. Darum muss sie ab und zu ihren eigenen Namen von einer Hauswand putzen lassen. Sie könne damit leben, sagt Rast: «Nichtsdestotrotz ist die Botschaft klar. Sie wollen lieber ungestört arbeiten.»