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Panorama Marignano: Die (Gedenk-)Schlacht nach der Schlacht

1515 unterlagen die Eidgenossen bei Marignano einem übermächtigen Gegner. Die verheerende Niederlage band die helvetischen Expansionsgelüste zurück – und wurde zum Gründungsmythos der Schweizer Neutralität. Der Historiker André Holenstein erklärt, wie aus Niederlage Nationalepos wurde.

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Marignano oder die Gedenkschlacht im Wahljahr
aus Echo der Zeit vom 06.01.2015. Bild: Keystone
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Vor 500 Jahren unterlagen die alten Eidgenossen nördlich von Mailand einem Bündnis europäischer Grossmächte. Der Schlacht von Marignano fielen an die 10‘000 Innerschweizer, Zürcher, Luzerner und Basler zum Opfer. Die militärische Finesse der Franzosen obsiegte über die rohe Brutalität des helvetischen «Gewalthaufens».

Das dezimierte Heer der Eidgenossen trat den geordneten Rückzug an, die donnernden Geschütze des Feindes jagten es zurück über den Alpenkamm. Es sollte, bis auf wenige Ausnahmen, das Ende des helvetischen Expansionsdrangs sein. Und der Anfang einer neuerlichen «Schlacht»: derjenigen über die Deutungshoheit über die Schweizer Geschichte.

«Aus der Niederlage Heil!»

Heute steht im italienischen Zivido, nahe dem Schlachtfeld von 1515, ein Denkmal mit der lateinischen Inschrift «Ex clade salus», zu Deutsch: «Aus der Niederlage Heil». Der Titel ist (politisches) Programm: Finanziert von der Fondazione Pro Marignano, die rechtskonservativen Kreisen nahe steht, projiziert sie die «Weihen» unserer Tage auf die Ereignisse von damals: eine selbstgenügsame, neutrale und prosperierende Schweiz. Gediehen aus Jahrhunderten ohne Einmischung in europäische Händel.

Geschichte ist offen für Deutungen, und diese geschehen immer aus zeitpolitischen Zusammenhängen heraus.
Autor: André Holenstein Historiker

«Grössenwahnsinniges Gemetzel»

In der «Vereinnahmung» des historischen Erbes durch rechtskonservative Kreise erkennen linke Kritiker Geschichtsklitterung. So etwa der Berner Autor Guy Krneta, dem ein ganz anderes Marignano vorschwebt: ein «grössenwahnsinniges Gemetzel», das nicht Neutralität, sondern jahrhundertelange aussenpolitische Anbindung zu Frankreich zur Folge hatte. Mit dem Slogan «Hurra, verloren!» kritisiert das linke Netzwerk «Kunst und Politik» diejenigen, die den grandios gescheiterten Feldzug zur Legitimation heutiger Abschottung missbrauchen.

Marignano aus der Sicht des Historikers

Zur Person

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André Holenstein ist Professor für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende Regionalgeschichte an der Universität Bern. In seinem 2013 erschienenen Buch «Mitten in Europa» beschreibt er das Entstehen und Überdauern einer unabhängigen und eigenständigen Schweiz als «Ergebnis europäischer Konstellationen».

Ein Schlachtfeld von damals für Grabenkämpfe von heute? «Ganz normal» sei diese «Instrumentalisierung» der Geschichte, sagt der Berner Historiker André Holenstein: «Geschichte ist offen für Deutungen. Und diese geschehen immer auf zeitpolitischen Zusammenhängen heraus. Sie können Ausdruck ganz unterschiedlicher ideologischer und politischer Anliegen sein.» Zudem tendierten auch die Medien zu «plakativen und sensationslüsternen Deutungen».

Und was sagt die Geschichtsforschung zu den Ereignissen von damals? Holensteins Sicht der Dinge: «Bis ins 18. Jahrhundert überliefern die historischen Lexika Marignano lediglich als ‹Schlacht›.» Über die Geburtsstunde der Neutralität schweigen sich die Quellen aus. Die Schweizer Neutralität habe sich in einem jahrhundertelangen Prozess herausgebildet, viel entscheidender sei die Gefahr des 30-jährigen Krieges gewesen.

Schweizer Geschichte kann nur aus europäischer Geschichte heraus erzählt werden.
Autor: André Holenstein Historiker

Neutralität aus Selbstschutz?

Holensteins These: Im europäischen Widerstreit von Katholizismus und Protestantismus wären auch die Schweizer «übereinander hergefallen», hätten sich einzelne Orte für oder gegen einzelne europäische Grossmächte ausgesprochen. Es blieb den Eidgenossen, wie Holenstein ausführt, nur die «Selbstneutralisierung» , um die europäischen Kriege einigermassen Heil zu überstehen.

Neutralität aus Pragmatismus und Selbstschutz? Auch dies eine «mythenkritische» Sicht der Dinge, zumal Legendenbildung nicht zum Handwerk des Historikers gehört. Holenstein plädiert denn auch für ein Gedenken, das den Blick über den heimischen Tellerrand wagt: «Schweizer Geschichte kann nur aus europäischer Geschichte heraus erzählt werden. Sonst landen wir immer in den Sackgassen einer nationalpatriotischen Geschichtsbetrachtung.»

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