Am 29. Mai 1953 gelang dem nepalesischen Sherpa Tenzing Norgay und dem Neuseeländer Edmund Hillary das bisher Unmögliche: Sie bezwangen in einem beispielhaften Abenteuer den höchsten Berg der Welt. Die nächsten 27 Jahre, bis ins Jahr 1979, gelang weiteren 99 versierten Alpinisten dieses Unterfangen. Ab dann lässt sich ohne Übertreibung von einer wahren Everest-Manie sprechen. Zwischen 1979 und 1985 verdoppelte sich die Zahl. Seither wächst sie jährlich. Im Rekordjahr 2007 standen bereits 604 Gipfelstürmer auf dem «dritten Pol der Welt».
Rund ein Drittel aller Expeditionen heute sind kommerzieller Natur. Spezialisierte Agenturen, die betuchten Touristen zu einem Erlebnis verhelfen, zu dem sie ohne Unterstützung niemals in der Lage wären. «Der Everest ist zu einem Geheimtipp geworden, wie man praktisch ohne Leistung zu viel Ruhm und Ehre kommt», sagt der Everest-Kenner, Bergführer und Fotograph Robert Bösch.
95 Prozent aller Everest-Bezwinger verdanken ihr Hochgefühl der Leistung von Sherpas, sagt Bösch. Die tragen die schweren Lasten in einer Luft, die so dünn ist, dass man in der Nacht das Gefühl bekommt, im Weltall zu sitzen. Sie verlegen Fixseile und Hunderte von Aluminiumleitern, an denen sich die reichen Touristen durch Fels und Eis hangeln. Gefährlich bleibt es trotzdem.
Chaotische Zustände am Berg
Für den Gipfelsturm bleibt den Rekordjägern nämlich nur ein kurzes Zeitfenster im Mai. Bevor der gefürchtete Monsun einsetzt und «die Mutter des Universums» zur Hölle der Bergsteiger wird. An Gipfeltagen stehen sich darum bis zu 300 Menschen die Füsse in den Bauch. «Das kann sehr gefährlich werden», sagt Bösch.
Wie 1996, als an einem einzigen Tag acht Everest-Bezwinger den Tod fanden. «Sollte das Wetter im obersten Teil des Aufstiegs umschlagen, könnte eine solche Engstelle zur Todesfalle werden», erklärt der Everest-Kenner. Die Leute warten zu lange und verbrauchen den Sauerstoff, den sie für den Abstieg benötigen. An einer solchen Katastrophe würde auch die Tatsache nichts ändern, dass die heutigen Everest-Bezwinger auf moderne Hightech-Ausrüstung zurückgreifen können.
Zwar schauen die Verantwortlichen auch auf den Gesundheitszustand ihres Klienten. «Aber meiner Meinung nach ist es auf über 8500 Metern auch einem erfahrenen Berführer nicht möglich, immer alles richtig zu sehen», gibt Bösch zu bedenken. Auch er kann nämlich unter der Höhe leiden. Chaotische Zustände am Gipfeltag sind deshalb häufig.
Kompromisse sind gefragt
Katharina Conradin von der Naturorganisation «Mountain Wilderness» beobachtet die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. «Wir proklamieren ein Bergsteigererlebnis, das auf Respekt gegenüber anderen und der Natur beruht», sagt Conradin im Interview mit SRF News Online. «Und darauf, dass man den Berg aus eigener Kraft bezwingt.» Wie damals, Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay.
Um den Wildwuchs unpassend vorbereiteter Rekordtouristen im Rahmen zu halten, braucht es eines: eine sinnvolle Tourismus-Entwicklung. «Alle Beteiligten, Sherpas, ausländische Anbieter, Behörden vor Ort und nicht zuletzt die Bergsteiger, alle müssten im Dialog tragfähige Kompromisse finden», sagt Conradin.
Dies könnte auch sekundäre Probleme entschärfen. Das Abfallproblem und die jetzt plötzlich einsetzende Bauwut am Fuss des höchsten Berges der Welt. Neue Berghütten, ja ganze Luxus-Lodges schiessen da wie Pilze aus dem Boden. Auf dass der reiche Tourist nicht zu viel Abenteuer verabreicht bekommt.
Gutes Geschäft mit den Träumen
Ob Conradins Vorschlag Gehör finden würde, muss angesichts der Anziehungskraft des Berges bezweifelt werden. Es sei wie im normalen Tourismus auch, sagt die Alpenschützerin. Der Tourismus verändert die Orte, an denen er sich ausbreitet.
Die wirklichen Bergsteiger haben darauf bereits reagiert. «Wir buchen praktisch nur noch Touren über die Nordroute», sagt Jens Röcken vom Adventure-Anbieter «Kobler & Partner GmbH». Die Route ist beim Massentourismus weniger beliebt, weil die chinesischen Permits viel teurer sind als die nepalesischen. Auf der Nordroute sind die wahren Freunde der Bergsteiger-Kunst noch eher unter ihresgleichen. «Die Massen wählen die günstigere Südroute», sagt Röcken. Obwohl sie im Grund gefährlicher ist.