Der Prozess gegen Oscar Pistorius in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria geht zu Ende. Am 11. September wird das Gericht das Urteil fällen. Grosse Erwartungen waren in das Schlussplädoyer des südafrikanischen Staranwalts Barry Roux gesetzt worden.
Wortgewandt und selbstbewusst versuchte der 58-Jährige in einer mehrstündigen Rede, seinen Mandanten Oscar Pistorius vor einer langen Gefängnisstrafe zu bewahren. Seine Argumente schienen plausibel – und schafften es immer wieder, die von der Staatsanwaltschaft dargelegte Version des Tathergangs in Zweifel zu ziehen. Dennoch blieb die Frage: Ist ein Freispruch für einen Mann überhaupt möglich, der zugegeben hat, seine Freundin getötet zu haben?
Schüsse als Notwehr
Der Staatsanwalt Gerrie Nel hatte am Vortag die ebenso berechtigte Frage aufgeworfen, ob es sich nicht auf jeden Fall um einen vorsätzlichen Mord gehandelt habe – abgesehen davon, wer letztlich das Todesopfer war. Pistorius vermutete eigenen Angaben zufolge einen Einbrecher im Badezimmer und schoss auf die verschlossene Türe.
Roux versuchte, die Schüsse erneut als Notwehrhandlung darzustellen. Er zeichnete das Bild eines behinderten und hilflosen Mannes, der angesichts der hohen Gewaltrate in Südafrika in Panik geraten ist, als er Geräusche in seinem Haus hörte.
Plädoyer zerpflückt
Stück für Stück zerpflückte der Anwalt das Plädoyer Nels. Er stellte Zeugenaussagen ebenso infrage wie die von der Anklage vorgelegte zeitliche Abfolge der Geschehnisse in der Tatnacht. Auch das nachlässige Verhalten der Ermittler in Pistorius' Villa war ein grosses Thema des Plädoyers. »Es gab keinerlei Respekt für den Tatort», sagte Roux spürbar wütend. Er hatte gute Argumente bezüglich der zahlreichen Indizien des Verfahrens. Unumstössliche Beweise konnte aber auch er nicht vorlegen.
Staatsanwalt Nel habe gute Chance den Fall zu gewinnen, kommentierte der Rechtsexperte James Grant in der südafrikanischen Zeitung «The Times». Seiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, dass der heute 27-Jährige des Mordes an Reeva Steenkamp für schuldig befunden wird. Dann müsste er mindestens 25 Jahre ins Gefängnis.
Schlechte Zeugenaussage
«Zum einen war seine Zeugenaussage sehr schlecht, zum anderen könnten alle Zweifel, die die Verteidigung aufzuwerfen versucht, als unplausibel abgetan werden», meinte Grant. Tatsächlich hatte Nel einen grossen Teil seines Plädoyers darauf verwendet, Pistorius' Aussage vor Gericht infrage zu stellen. Er habe sich eine eigene Version der Wahrheit zusammengebastelt und es abgelehnt, Verantwortung für seine Tat zu übernehmen, sagte der Staatsanwalt.
Viele Experten halten eine Verurteilung wegen Totschlags oder fahrlässiger Tötung für wahrscheinlich. Auch in diesem Fall drohen dem gefallenen Idol bis zu 15 Jahre Haft.