Die Ethikkommission des Weltfussballverbands macht einen weiteren Schritt in Richtung Reformen. Zentral dabei ist ein neuer Aufsichtsrat, den es zur Kontrolle geben soll. SRF News sprach mit dem Philosophen und Publisisten Wolfram Eilenberger über die Chancen einer echten Reform der Fifa.
SRF News: Die Fifa will eine Amtszeitbeschränkung, die Offenlegung von Salären von Topfunktionären und ein Ende des Exekutiv-Komitees. Wie revolutionär tönt das für Sie?
Wolfram Eilenberger: Es ist erfreulich, dass es Bewegung in der Fifa gibt. Es ist auch hoch notwendig, denn es besteht Handlungsbedarf und die Fifa hat das eingesehen. Wenigstens auf dem Papier weisen die strukturellen Reformen der Fifa in die richtige Richtung. Aber die Papierform war bei der Fifa nie entscheidend, sondern das tatsächliche Gehabe von alten Männern, die in Hinterzimmern die Regeln umgehen, die sie sich selber gegeben haben.
Die Fifa steht unter enormen Druck. Kann sich dieser Verein gar nicht von sich aus reformieren?
Es ist beachtenswert, dass die Selbstreinigungsversuche in grossen Sportverbänden bisher nicht erfolgreich waren. Sofern es grosse gewichtige Veränderung gab, kamen sie von aussen, durch strafrechtlichen Druck und im Fall der Fifa hauptsächlich durch Druck der amerikanischen und nicht der Schweizer Behörden. Der externe juristische Druck scheint ein ganz entscheidender Faktor zu sein. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass sich die Fifa aus sich selber heraus reinigen kann. Das ist wie ein Drogenabhängiger, der Hilfe braucht und Hilfe nur von aussen bekommt.
Wenn wir uns die Ursachen anschauen: Wir wissen heute um den Sumpf, Korruption, Bestechung usw. Wie konnte es so weit kommen?
Es sind verschiedene Faktoren. Die Bedeutung des Weltsports und deren finanziellen Machenschaften sind in den letzten 30 Jahren ungeheuer gewachsen, auch im Zuge der Globalisierung. Da waren Strukturen, die für die wirtschaftliche Macht und die Geldströme, die da flossen, nicht gemacht waren und dann zu Missbrauch anregten.
Zum andern sehen wir eine sehr unglücklich Verquickung innerhalb der Fifa mit grossen Sponsoren wie z.B. Adidas, die von innen heraus die Fifa mitmitbeherrscht und unterwandert haben.
Und drittens sind es Personen, die seit 30 oder 40 Jahren Freunde sind und Machenschaften und Gefälligkeiten austauschen. Die Fifa, wie wir sie heute sehen, ist ja nicht nur ein korruptes System, sondern auch eine Gerontokratie, eine Herrschaft alter Herren.
Das heisst, man müsste eigentlich alle austauschen und neu beginnen?
Ich glaube nicht, dass das ein gangbarer Weg ist, weil Totalrevolutionen meist die Strukturen fortsetzen, die sie eigentlich abschaffen wollen. Wir müssen mit dem Personal arbeiten, das da ist. Man kann nicht den totalen Schnitt machen und alles austauschen. Das wäre gar nicht möglich, denn die einzelnen Verbände sind ja souverän. Man muss aber glaubwürdiges Personal identifizieren, das jünger und unbelasteter sein muss als die Menschen, die schon 30 Jahre dort arbeiten. In der jüngeren Generation könnte es glaubwürdige Adressaten geben, mit denen man einen Neubeginn wagen kann.
Wie sehen sie die Rolle der Schweiz, die trotzdem keine schärferen Gesetze macht?
Die Rolle der Schweiz für den Weltsport ist extrem unrühmlich. Die Schweiz ist Teil des Problems, und nicht Teil der Lösung, was die Transparenzbemühungen angeht. 80 Prozent der Weltsportverbände sind in der Schweiz ansässig – aus gutem Grund, aus steuerlichen Gründen. Aber auch aus dem Grund, weil die Justiz dort gerne ein oder zwei Augen zudrückt. Das heisst, die Schweiz muss sich selber Schuld anlasten und aktiver werden. Der strafrechtliche Impuls kam ja nicht aus der Schweiz, sondern aus den USA. Wenn man an die Verfallsprozesse im Weltsport allgemein denkt, an die Fifa, das Olympische Komitee und an den Leichtathletikverband, dann muss die Schweizer Bevölkerung, der Staat, sich schon überlegen, ob sie das in den eigenen Landesgrenzen so dulden will, oder ob sie nicht ein gehöriges Mass an Mitschuld trägt.
In den letzten Jahren ist viel passiert. Sind heute die Skandale grösser als früher oder sind wir einfach schneller empört?
Eigentlich nicht. Was die Fifa angeht, gab es seit Jahrzehnten kein Erkenntnisproblem hinsichtlich der Korruption. Es gab aber ein Sanktionsproblem – es gab niemanden, der das glaubhaft sanktionieren konnte. Und innerhalb der Fifa wurde nicht sanktioniert. Der entscheidende Punkt ist, dass die Strafverfolgung eines anderen Land ins Innere der Fifa eindringen konnte.
Ich glaube auch nicht, dass wir in einer Empörungskultur leben. Nein, das hätte sehr viel früher geschehen können und müssen.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.