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Inkassofirma plagt Trauernde mit grundlosen Geldforderungen
Aus Kassensturz vom 02.11.2021.
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Pietätloses Vorgehen Inkassofirma plagt Trauernde mit grundlosen Geldforderungen

Nach dem Tod des Mannes flattern Inkassoforderungen für ihn ins Haus. Die Witwe traut der Sache nicht – und hat Recht.

Mitte April ändert sich die Welt von Irène S. von einem Moment auf den anderen: Ihr Mann sackt neben ihr zusammen und stirbt. «Ich stand wochenlang unter Schock», sagt Irène S..

Mitten in die Trauerzeit schickt die Inkassofirma Arvato Infoscore zwei Forderungen. Forderungen an ihren Mann. Uralte Forderungen eines Sexshops und eines Online-Versandhandels, beide über 20 Jahre alt.

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Irène S.: «So nutzt man in einer Situation, in der man sowieso verletzlich ist, die Gefühle aus.»
Aus Kassensturz vom 01.11.2021.
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Irène S. ist bestürzt. Aber gleichzeitig auch sicher, dass diese Forderungen nichts mit ihrem Mann zu tun haben. Denn, in den letzten Jahrzehnten gab es nie offene Rechnungen, Mahnungen oder Betreibungen. Wie die Inkassofirma auf den Namen und die Adresse ihres Mannes kommt, bleibt ihr ein Rätsel. Erst als eine Bekannte Irène S. auf das Todesanzeigenportal aufmerksam macht, dämmert es ihr.

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Eidgenössischer Datenschützer hebt den Mahnfinger

Auf dem Todesanzeigenportal werden fortlaufend Todesanzeigen und Danksagungen aus der ganzen Schweiz publiziert. Ohne dass Angehörige davon wissen, ohne dass sie darüber informiert werden. Auch die Todesanzeige von Irène S. Mann findet sich dort. Für die Witwe ist klar: «Das Portal ist der Auslöser für die Inkassoforderungen.»

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Silvia Böhlen, Kommunikationsspezialistin beim EDÖB: «Die Angehörigen haben das Recht zu wissen, wo überall eine Todesanzeige publiziert wird.»
Aus Kassensturz vom 01.11.2021.
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2018 berichtet «Espresso» über das Geschäftsmodell des Internetportals. Das Büro des eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) findet damals deutliche Worte. Das Konzept hat sich seither nicht wesentlich geändert. Silvia Böhlen, Kommunikationsspezialistin beim EDÖB, ruft Konsumentinnen und Konsumenten auf, beim Aufgeben von Todesanzeigen genau hinzuschauen – auch bei einer Zeitung: «Die Angehörigen haben das Recht zu wissen, ob eine Todesanzeige nur in der Zeitung publiziert oder auch ins Internet gestellt wird. Und sie müssen die Möglichkeit haben zu widersprechen.»

Stellungnahme Arvato Infoscore

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«Können wir Personen nicht erreichen, ermitteln wir diese mithilfe externer Dienstleister. Unsere Dienstleister wählen wir mit Bedacht und nach strikten Kriterien aus. Dabei arbeiten alle Beteiligten tagtäglich daran, den ohnehin bereits sehr hohen qualitativen Standard stetig weiter zu optimieren.»

Sollte es tatsächlich mal eine Verwechslung geben, dann gehen wir dem unverzüglich nach und handeln schnell, um die Betroffenen sofort zu entlasten. Leider lassen sich aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen Identitätsverwechslungen nicht gänzlich vermeiden.»

«Um auf Ihre Anfrage bzgl. der Verjährung Stellung zu beziehen, so steht es jedem Schuldner frei die Einrede der Verjährung vorzubringen.»

«Der Sinn einer Vorgehensweise, bei der wir wie von Ihnen vermutet, Personen bzw. deren Angehörige bewusst nach ihrem Ableben anschreiben, erschliesst sich uns ehrlicherweise nicht.»

Namen und Adressen aus der Todesanzeige?

Die Frage stellt sich: Durchforsten Inkassofirme wie Arvato gezielt Todesanzeigen, um an Namens- und Adressdaten zu kommen? Arvato verneint. Sie würden Daten mit Hilfe externer Dienstleister ermitteln. Das Problem: Daten können auch falsch sein. Arvato schreibt «Kassensturz»: «Leider lassen sich aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen Identitätsverwechslungen nicht gänzlich vermeiden.» Hier hätte es sich vermeiden lassen. Ein kurzer Blick in eine Wirtschaftsdatenbank reicht und man merkt: Mit den Daten kann etwas nicht stimmen.

Stellungnahme Arvato Infoscore
Legende: SRF

Falscher Adressat

Arvato gibt letztendlich nach den Fragen von «Kassensturz» und einem Brief der Witwe in einem Schreiben an Irène S. zu, dass eine Verwechslung stattgefunden hat. Hätte Irène S. die Forderungen beglichen – aus Scham oder um die Sache möglichst rasch aus der Welt zu schaffen – hätte sie für etwas bezahlt, das nicht gerechtfertigt gewesen wäre.

Stellungnahme FamAds AG (Todesanzeigenportal)

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«Auswertungen ergaben, dass nur ein kleinster Teil von Inserenten auf eine Onlineschaltung verzichtet. Hierzu haben wir Printtitel grosser Verlagshäuser mit deren Onlinepublikationen verglichen. Mit anderen Worten, die überwiegende Mehrheit der Inserate sind im Internet verfügbar auf den von den Verlagen betriebenen Websites (und auf weiteren Websites).

Dies gilt sowohl für die grossen Verlagshäuser wie auch für die lokalen Anzeiger. (…) Eine allfällige Kritik müsste damit nicht nur uns erreichen, sondern praktisch alle Verlagshäuser mit online gestellten Traueranzeigen und Suchmaschinen ebenso. Oder werden Inserenten gefragt, ob die Inserate an Google geliefert werden sollen? Oder werden Inserenten gefragt, ob die Printtitel in zugängliche (und indexierte) Onlinearchive gestellt werden sollten?»

«Seit der Kritik im Rahmen des «Espresso»-Beitrags haben wir hier ebenfalls eine aufwendige Lösung implementiert. Auf publizierten Inseraten sollen keine Traueradressen mehr verfügbar sein bzw. allfällige Adressen sollen geblurred werden. (…) Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen, vor Ende Jahr sollten aber alle Inserate entsprechend bearbeitet sein.»

«Auch können wir Ihnen auf Ihre Frage hin mitteilen, dass wir über keine Adressen und Namen von Angehörigen aus Inseraten verfügen und damit auch nicht mit solchen handeln können.»

Deshalb der Rat von Irène S.: «Vielen geht es ähnlich wie mir. Und wenn dann plötzlich ungute Gefühle wie Misstrauen und Unsicherheit gegenüber dem Partner aufkommen, ist das schlimm. Ich möchte alle dazu ermuntern, sich zu wehren und sich nicht alles gefallen zu lassen.»

Die Forderungen sind in der Zwischenzeit auch in der Wirtschaftsdatenbank gelöscht worden.

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Inkassofirma plagt Trauernde mit grundlosen Geldforderungen
aus Espresso vom 02.11.2021. Bild: SRF
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Espresso, 02.11.21, 08:13 Uhr / Kassensturz, 02.11.21, 21:05 Uhr

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