Wiesen, Wälder und Einfamilienhaus-Idylle so weit das Auge reicht: Wer heute im Mittelland lebt, für den ist das Meer ein ferner Sehnsuchtsort. Vor rund 20 Millionen Jahren allerdings war die Schweiz Teil einer Insellandschaft, und das Mittelland komplett überflutet.
Damals war das Klima wärmer als heute. Die Folge: Der Meeresspiegel stieg an, die Meere überschwemmten die tiefliegenden Gebiete Europas. Der Meeresarm in der heutigen Schweiz wurde von gut 70 Hai- und Rochenarten, aber auch von zahlreichen Knochenfischarten sowie Delfinen besiedelt. Auf dem Meeresgrund lebten Muscheln, Seeigel und Krebse.
Forschende des Paläontologischen Instituts der Universität Zürich konnten nun anhand von Fossilien zwei Delfinfamilien identifizieren, deren Vorkommen in der Schweiz bisher unbekannt war. Sie sind mit den Delfinen und Pottwalen verwandt, die noch heute leben.
Einer der Forscher ist Gabriel Aguirre. Im Gegensatz zu prähistorischen Meeresbewohnern wie dem Riesenhai Megalodon würden die Delfine von damals heute kaum auffallen: «Die Delfine von damals sahen eigentlich genauso aus wie die Delfine, die wir heute kennen», sagt Aguirre. «Die Familie der Kentriodon glich unseren ozeanischen Delfinen.»
Keine vollständig erhaltenen Skelette
Die mit den heutigen Pottwalen verwandte Delfinfamilie war kleiner als die heutigen Meeresriesen, die fast 18 Meter gross werden können. Die zweite Familie der Squalodelphinid ist mit den heutigen Flussdelfinen in Indien verwandt, wie der Forscher ausführt.
Vollständig erhaltene Fossilien fanden die Forscher nicht. Die damals starken Strömungen im Mittelländer Meeresarm zogen die Tierskelette über den Meeresgrund und verteilten die Knochen. «Darum sind heute keine kompletten Skelette mehr zu finden», erklärt der Paläontologe.
Zurück blieben die härtesten Anteile der Delfinskelette, fast ausschliesslich Zähne, Wirbel und Ohrknochen. «Diese Ohrknochen der Delfine sind aber von grossem Interesse für die Wissenschaft, da sie sich stark voneinander unterscheiden. Man kann sie somit eindeutig einer Artengruppe zuordnen.»
Evolution der Meeressäuger verstehen
Dank Mikro-Computertomographie konnten die Forschenden die weicheren Organe um die harten Ohrknochen herum rekonstruieren und 3D-Modelle erstellen. «Dies half uns, die Hörfähigkeit der Delfine zu analysieren, zu unterscheiden und zu interpretieren, sodass wir Rückschlüsse auf ihre Ökosysteme ziehen konnten.»
In den wichtigsten Sammlungen der Schweiz gibt es rund 300 Fossilien von Walen und Delfinen, die von Wissenschaftlern und Hobby-Paläontologen zusammengetragen wurden. «Ihnen verdanken wir die Informationen, auf die wir uns stützen können», sagt Aguirre.
Durch die Entdeckung der beiden Delfinfamilien erhofft er sich nun besser zu verstehen, wie sich die Meeressäuger in Europa und weltweit bis in die heutige Zeit entwickelten.